Der dritte Schimpanse
einheimische Sprachen registriert, von denen keine von mehr als drei Prozent der Bevölkerung gesprochen wird. Da überrascht es nicht, daß eine Lingua franca gebraucht wurde. Sie entstand nach der Ankunft englischsprechender Händler und Seeleute Anfang des 19. Jahrhunderts. Heute dient Neomelanesisch in Papua-Neuguinea nicht nur zur Konversation, sondern es wird auch in vielen Schulen, Zeitungen, Rundfunksendern und im Parlament verwendet. Die Reklame im Anhang zu diesem Kapitel vermittelt einen Eindruck von dieser neuentstandenen Sprache.
Als ich zum erstenmal nach Papua-Neuguinea kam und Neomelanesisch hörte, reagierte ich spöttisch. Es erschien mir wie umständliches kindliches Gebabbel ohne jede Grammatik. Ich erwiderte mit meiner Vorstellung von Kindergebabbel und mußte verstört feststellen, daß mich die Einheimischen nicht verstanden. Auch meine Annahme, neomelanesische Wörter würden das gleiche bedeuten wie englische Wörter mit ähnlichem Klang, brachte mich des öfteren in Verlegenheit, besonders einmal, als ich mich bei einer Frau in Begleitung ihres Mannes dafür entschuldigen wollte, daß ich sie angerempelt hatte, und sich herausstellte, daß das neo melanesische Wort pushim nicht das gleiche bedeutet wie das englische Wort »push« (stoßen, schubsen), sondern »mit jemandem Geschlechtsverkehr haben«.
Ich fand heraus, daß Neomelanesisch genauso strenge grammatikalische Regeln hat wie das Englische. Es ist eine präzise Sprache, in der sich alles ausdrücken läßt, was man auch auf englisch ausdrücken kann. Es sind sogar Unterscheidungen möglich, die im Englischen plumper Umschreibungen bedürfen. So wirft das englische Pronomen »we« (wir) zwei recht verschiedene Situationen in einen Topf: »der Sprecher und der oder die Angesprochenen« bzw. »der Sprecher samt einer oder mehrerer Personen unter Ausschluß des oder der Angesprochenen«. Im Neomelanesischen wird diesen beiden unterschiedlichen Bedeutungen mit zwei Wörtern Rechnung getragen: jumi und mipela . Wenn ich mich, nachdem ich Neomelanesisch einige Monate lang gesprochen habe, mit jemandem unterhalte, der Englisch spricht und von »we« redet, frage ich mich oft , ob ich wohl auch gemeint bin oder nicht.
Die trügerische Einfachheit und dennoch hohe Prä-zision des Neomelanesischen fußt zum einen auf dem Wortschatz, zum anderen auf der Grammatik. Der Wortschatz basiert auf einer relativ kleinen Zahl von Kernwörtern mit kontextabhängiger Bedeutung, die auch im übertragenen Sinne verwendet werden. So kann das neomelanesische Wort gras die Bedeutung des englischen Worts »grass« (Gras) haben (wovon gras bilong solwara [salt water] , Seegras, abgeleitet wurde), aber auch die von »hair« (Haar) (mit der Ableitung man i no gat gras long head bilong em , Glatzkopf).
Die Ableitung des neomelanesischen banis bilong susu als Wort für »BH« veranschaulicht die Geschmeidigkeit der Kernworte. Banis , abgeleitet vom englischen Wort »fence« (Umzäunung), hat im Neomelanesischen die gleiche Bedeutung, zum Beispiel in dem Ausdruck banis pik für »pigpen« (Schweinestall). Susu , aus dem Malaiischen stammend, bedeutet »Milch«, aber im weiteren Sinne auch »Brust«. Die letztere Bedeutung führt zu den Ausdrücken für »Brustwarze« ( ai [eye] bilong susu , Auge der Brust), »vorpubertäres Mädchen« ( i no gat susu bilong em , noch kein Busen), »junges Mädchen« ( susi i sanap [stand up], strammer Busen) und »ältere Frau« ( susi ipundaun pinis [fall down finish], erschlaff -ter Busen). Die Kombination dieser beider Wurzeln, banis bilong susu , bezeichnet einen BH, also eine Umzäunung des Busens, so wie banis pik eine Umzäunung für Schweine bezeichnet.
Die neomelanesische Grammatik kommt uns so trü-gerisch einfach vor, weil ihr vieles fehlt bzw. durch Umschreibung ausgedrückt wird. Dazu gehören eine Reihe uns selbstverständlich erscheinender Grammatikformen wie der Plural und die Kasusendungen der Substantive, die Beugungs- und Passivformen der Verben sowie die meisten Präpositionen und Tempora. Dennoch hat sich Neomelanesisch in vielerlei Hinsicht weit über das Stadium von Kindergebabbel und Meerkatzenlauten hinaus entwickelt, zum Beispiel in seinen Konjunktionen, Hilfsverben und Pronomen sowie in der Art, wie Verbmodi ausgedrückt werden. In der hierarchischen Organisation von Phonemen, Silben und Wörtern kann es mit anderen komplexen Sprachen voll
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