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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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und v richtig auszusprechen, während englische Muttersprachler Probleme mit den Vokaltönen und Nasallauten vieler neuguineischer Spra­chen haben. Solche Laute wurden von den Pidgin-Spra­chen Neuguineas und der später aus ihnen entstandenen kreolischen Sprache Neomelanesisch weitgehend ver­bannt. Die Wörter von Pidgin-Sprachen im Frühstadi­um bestehen fast nur aus Substantiven, Verben und Ad­jektiven, während Artikel, Hilfsverben, Konjunktionen, Präpositionen oder Pronomen kaum darunter sind. In grammatikalischer Hinsicht zeichnen sich Pidgin-Spra­chen im Frühstadium durch kurze Wortketten mit un­regelmäßiger Wortstellung, ohne Nebensätze und Beu­gungsformen aus. Zur grammatikalischen Armut kom­men noch krasse Abweichungen im Sprachgebrauch einzelner Sprecher oder sogar ein und derselben Per­son, die geradezu das Markenzeichen von Pidgin-Spra­chen im Frühstadium darstellen, was den Eindruck ei­ner sprachlichen Anarchie hervorruft .
    Pidgin-Sprachen, die nur von Zeit zu Zeit von Er­wachsenen, die ansonsten ihrer Muttersprache treu blei­ben, gebraucht werden, verharren auf diesem niedrigen Niveau. So entstand in der Arktis eine Pidgin-Sprache mit der Bezeichnung Russonorsk, welche die Abwick­lung des Tauschhandels zwischen russischen und nor­wegischen Fischern, die sich dort begegneten, erleich­terte. Diese lingua franca hatte das ganze 19. Jahrhun­dert über Bestand, entwickelte sich aber nicht weiter, da sie nur während kurzer Besuche gesprochen wurde, um einfache Tauschgeschäfte zu tätigen. Die Fischer aus bei­den Ländern brachten die meiste Zeit damit zu, mit ih­ren Landsleuten Russisch oder Norwegisch zu sprechen. In Neuguinea hingegen wurde das Pidgin im Laufe vie­ler Generationen immer konstanter und komplexer, da es tagtäglich von vielen Menschen gesprochen wurde, wenngleich die meisten Kinder neuguineischer Arbeits­kräfte bis nach dem Zweiten Weltkrieg als Erstsprache noch die Muttersprache ihrer Eltern lernten.
    Eine rasche Evolution von einer Pidgin- zu einer kreo­lischen Sprache erfolgt allerdings dann, wenn eine Ge­neration einer der zu dem Pidgin beisteuernden Grup­pen anfängt, das Pidgin selbst als Muttersprache zu be­greifen. Das bedeutet, daß die Pidgin-Sprache bei allen sozialen Anlässen gebraucht wird, nicht bloß zur Erör­terung von Plantagenangelegenheiten oder zur Abwick­lung von Tauschgeschäften. Gegenüber Pidgin-Sprachen zeichnen sich kreolische Sprachen durch ihr umfangrei­cheres Vokabular, ihre wesentlich kompliziertere Gram­matik und die Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs aus. Mit ihnen läßt sich praktisch jeder Gedanke ausdrücken, der auch in einer normalen Sprache ausgedrückt wer­den kann, während Pidgin-Sprachen regelmäßig denje­nigen zur Verzweiflung bringen, der einen auch nur et­was komplexeren Zusammenhang beschreiben möch­te. Selbst ohne eine Académie Française zur expliziten Regelfestlegung vervollständigen sich Pidgin-Sprachen nach und nach, um schließlich als einheitliche Sprachen auf höherem Niveau Stabilität zu erlangen.
    Dieser Prozeß der Kreolisierung war quasi ein natür­liches Experiment in Sachen sprachlicher Evolution, das im modernen Zeitalter viele Dutzend Male unabhängig voneinander stattfand. Die Orte des Experiments wa­ren so verschieden wie Südamerika, Afrika und die In­selwelt des Pazifik. Bei den Arbeitskräften handelte es sich mal um Afrikaner, mal um Portugiesen, mal um Chinesen und mal um Neuguineer. Unter den Koloni­sten waren Engländer und Spanier ebenso wie Afrika­ner und Portugiesen. Und die Zeitspanne reichte min­destens vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Verblüffend ist, daß all diese separaten Experimente im Ergebnis so viele Ähnlichkeiten aufweisen, sowohl im Hinblick darauf, was ihnen fehlt, als auch darauf, was sie besitzen. Auf der negativen Seite sind kreolische Sprachen simp­ler als normale Sprachen, und zwar in dem Sinne, daß sie sich gewöhnlich durch das Fehlen der Verbkonjuga­tion nach Tempora und Person, der Substantivdeklinati­on nach Kasus und Numerus, der meisten Präpositionen und der Unterscheidung von Vergangenheit und Gegen­wart auszeichnen. Auf der positiven Seite sind die kreo­lischen den Pidgin-Sprachen in vielerlei Hinsicht weit überlegen : einheitlicher Satzbau, Pronomen für die er­ste, zweite und dritte Person Singular und Plural; Rela­tivsätze; Möglichkeit zum Anzeigen eines vorhergehen­den Tempus (zur Beschreibung von Handlungen vor

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