Der dritte Zustand
veränderter Stimme: »Was ist? Bist du beunruhigt?«
Darauf antwortete Gad nicht gleich. Erst nach einigem Schweigen sagte er: »Nein. Jetzt bin ich völlig ruhig.«
Tamar zögerte, klappte den Mund zweimal auf und wieder zu und sagte schließlich vorsichtig: »Steht dir großartig, Gad, dieser weiße Rolli. Möchtest du Tee mit Zitrone statt diesem Kaffee?«
»Ja«, sagte Gad Etan, »aber ohne Schwanzwedeln.«
Wahrhaftig beeilte sich in seiner plumpen, friedliebenden Art das Gespräch auf aktuelle Themen zu bringen: »Nun, was sagt ihr denn zu diesem polnischen Antisemiten? Die haben nichts gelernt und nichts vergessen. Habt ihr im Rundfunk gehört, was dieser Kardinal aus Warschau über das Kloster in Auschwitz gesagt hat? Haargenau wieder das alte Lied: Warum drängeln die Juden, warum lärmen die Juden, warum hetzen die Juden die ganze Welt gegen das arme Polen auf, warum versuchen die Juden wieder Kapital aus ihren Toten zu schlagen, es sind doch auch Millionen Polen umgekommen. Und unsere nette Regierung übergeht das mit ängstlichem Schweigen, als säßen wir noch in der Diaspora. In einem geordneten Staat hätte man deren Nuntius innerhalb einer Viertelstunde mit einem anständigen Tritt, ihr wißt schon in welchen Körperteil, in hohem Bogen heimwärts befördert.«
Gad Etan antwortete prophetisch: »Mach dir keine Sorgen, Alfred. Wir werden’s nicht schweigend hinnehmen. Eines Nachts fliegen wir bei denen per Hubschrauber mit unserer Elitelandetruppe ein. Starten einen Blitzüberfall. Entebbe in Auschwitz. Sprengen mit Dynamit dieses Kloster in die Luft und bringen alle unsere Soldaten wieder heil und wohlbehalten an ihren Standort zurück. Das gibt eine perfekte Überraschung. Die Welt wird den Atem anhalten wie zu besseren Zeiten. Und hinterher brabbeln Mister Scharon und Mister Schamir über den langen Arm unserer Streitkräfte und die erneuerte israelische Abschreckungskraft. Das können sie dann ›Operation Frieden für die Krematorien‹ nennen.«
Fima fing sofort Feuer. Wenn ich Regierungschef wäre, dachte er, führte den Gedanken aber nicht zu Ende, sondern platzte zornig heraus: »Wer zum Teufel braucht das denn. Wir haben schlicht und einfach den Verstand verloren. Sind völlig aus den Gleisen gekippt. Was streiten wir uns mit den Polen herum, wem Auschwitz gehört? Das hört sich ja langsam an wie eine Fortsetzung der alten Leier von Verdienst der Vorväter und Erbteil der Vorväter und befreites-Gebiet-wird-nicht-zurückgegeben. Demnächst setzen die dort zwischen den Gaskammern noch eine neue Siedlung hin. Mauer und Turm. Ein Nachal-Wehrdorf namens Kavschanim – Schmelzöfen. Um Fakten zu schaffen. Ja, ist Auschwitz denn überhaupteine jüdische Stätte? Eine Nazi-Stätte ist das. Eine deutsche Stätte. Eigentlich müßte das doch in eine Stätte des Christentums im allgemeinen und des polnischen Katholizismus im besonderen verwandelt werden. Eben – sollen sie ruhig dieses ganze Todeslager mit Klöstern, Kreuzen und Glocken pflastern. Von einem Ende zum andern. Mit Jesus an jedem Schornstein. Es gibt für das Christentum keinen passenderen Ort auf der Welt, mit sich selbst allein zu sein und in sich zu gehen. Für die Christen. Nicht für uns. Sollen sie dorthin wallfahrten, ihre Sünden bereuen oder – umgekehrt – den größten theologischen Sieg ihrer Geschichte feiern. Meinetwegen können sie ihr Kloster in Auschwitz ›Jesu süße Rache‹ nennen. Was rennen wir denn mit Demonstranten und Spruchbändern dorthin? Sind wir völlig verrückt geworden? Gerade sehr gut, daß ein Jude, der dorthin geht, um der Ermordeten zu gedenken, einen dichten Wald von Kreuzen um sich sieht. Daß er von allen Seiten nichts als Kirchenglocken läuten hört. Daß er begreift, daß er sich genau hier im Herzen Polens befindet. Im innersten Herzen des christlichen Europas. Meinetwegen bitte schön – es wäre durchaus wünschenswert, den Vatikan dorthin zu verlegen. Warum nicht. Soll der Papst doch von nun an bis zur Auferstehung der Toten auf einem goldenen Thron mittendrin zwischen den Schornsteinen sitzen. Und außerdem –«
»Und außerdem komm aus deiner Trance heraus«, zischte Gad Etan, während er seine schönen langen Finger sorgfältig gegen das Licht musterte, als fürchte er plötzlich, sie könnten eine Mutation durchgemacht haben. Unterzog sich aber nicht erst der Mühe zu erklären, ob er anderer Meinung sei.
»In einem geordneten Staat«, begann Wahrhaftig, bedacht, das
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