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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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Behandlungszimmer. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloß. Ein Schwall penetranten Desinfektionsgeruchs drang zwischen Türöffnen und Türschließen aus dem Raum.
    Fima wusch sich die Hände am Waschbecken und machte Kaffee für die Patientin im Aufwachraum. Dann schenkte er auch Tamar und sich ein, zog eine weiße Jacke über, setzte sich hinter seine Schaltertheke undsah den Terminkalender durch, in dem er die Besuche der Patientinnen vermerkte. Bei sich nannte er dieses Heft Sefer Scbalscbelet Hakabbala – »Aufnahmefolge« oder auch »Kette der Überlieferung«, Titel eines alten historiographischen Werks. Auch hier schrieb er Zahlen nicht in Ziffern, sondern in Buchstaben. Außer den Besuchen vermerkte er eingegangene und aufgeschobene Zahlungen, Termine für Laboruntersuchungen, Untersuchungsergebnisse und Terminänderungen. Darüber hinaus führte er die Patientenkartei mit Krankengeschichte, Rezeptkopien, Ultraschallergebnissen und Röntgenbildern. Darin und in der Beantwortung des Telefons erschöpfte sich seine Tätigkeit. Abgesehen vom Kaffeekochen alle zwei Stunden für die beiden Ärzte und die Schwester und gelegentlich auch für eine Patientin nach einer schmerzhaften Behandlung.
    Seinem Tisch gegenüber befand sich eine Warteecke mit Couchtisch, zwei Sesseln, Teppich sowie Degas und Modigliani an den Wänden. Manchmal war Fima aus eigenen Stücken bereit, einer Wartenden die Zeit zu versüßen, indem er ihr ein lockeres Gespräch über ein neutrales Thema wie die Preiserhöhungen oder ein Fernsehprogramm vom Vorabend aufnötigte. Aber die meisten Patientinnen warteten lieber schweigend und blätterten Zeitschriften durch, worauf Fima die Augen in seine Papiere vergrub und seine Präsenz möglichst verringerte, um keine Verlegenheit entstehen zu lassen. Was mochte sich hinter den geschlossenen Türen der Behandlungsräume abspielen? Was war die Ursache jenes weiblichen Seufzers, den Fima hörte oder zu hören meinte? Was drückten die Züge der einzelnen Frauen beim Kommen und beim Gehen aus? Welche Geschichte endete da in dieser Praxis? Oder welche begann? Welcher Männerschatten stand hinter dieser und jener Frau? Wer war das Kind, das nicht geboren werden würde? Wie hätte sein Schicksal aussehen können? Solche Fragen versuchte Fima gelegentlich zu beantworten – oder zu formulieren –, wobei Schauder und Abscheu mit der tiefempfundenen Verpflichtung rangen, wenigstens im Geist jede Art von Leid mitzufühlen. Mal erschien ihm die Weiblichkeit selbst als himmelschreiendes Unrecht, ja fast als grausame Krankheit, die die Hälfte der Menschheit befallen hatte und die Betroffenen Demütigungen und Beleidigungen aussetzte, die der anderen Hälfte erspart blieben. Mal wiederum erwachte unbestimmter Neid in ihm, ein Gefühl der Benachteiligung und des Versäumens, als sei ihm irgendeine geheime Gabe versagt, die es den weiblichen Erdenbürgern erlaubt, sich auf eine einfache – ihm für immer versperrte – Weise mit derWelt zu verbinden. Soviel er auch darüber nachgrübelte – es wollte ihm nicht gelingen, zwischen Mitgefühl und Neid zu trennen oder zu wählen. Gebärmutter, Empfängnis, Schwangerschaft, Geburt, Mutterschaft, Stillen, sogar die Monatsregel, ja selbst Ausschabung und Abtreibung versuchte er sich in Gedanken auszumalen, getragen von dem ständigen Bemühen, in der Phantasie das zu empfinden, was ihm zu empfinden nicht vergönnt war, wobei es so im Grübeln vorkommen konnte, daß ein Finger sich unwillkürlich hinreißen ließ, seine Brustwarzen zu betasten. Die ihm wie Spott und Hohn oder vielleicht wie klägliche Überreste erschienen. Zum Schluß überflutete ihn eine Woge tiefen Mitleids mit aller Welt, Männern und Frauen, als sei er zu dem Empfinden gelangt, die Trennung in Geschlechter sei nichts als ein böser Scherz. Als sei es an der Zeit, ihr nun durch Zuneigung und Vernunft tatkräftig ein Ende zu bereiten. Oder zumindest das aus dieser Trennung entstehende Leid zu verringern. Unaufgefordert pflegte er hinter seinem Tisch hervorzukommen, um einer Wartenden ein Glas Wasser aus dem Kühlschrank einzuschenken und es ihr dann mit zaghaftem Lächeln zu reichen, wobei er etwa murmelte: Wird schon gut werden. Oder: Trinken Sie, dann fühlen Sie sich besser. Meist erregte er nur leises Staunen, aber zuweilen gelang es ihm, ein dankbares Lächeln hervorzuzaubern, auf das er mit einem Kopfnicken reagierte, als wolle er sagen: Wenigstens etwas.
    Wenn Fima zwischen Telefonaten und

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