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Der dritte Zustand

Der dritte Zustand

Titel: Der dritte Zustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amos Oz
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haben wir mit der arischen Seite zu tun.
    Und Sie, Herr Ministerpräsident? Was haben Sie in Ihrem Leben getan? Was haben Sie heute getan? Und gestern?
    Fima kickte unbewußt gegen eine leere Dose. Die das Sträßchen hinunterkullerte und eine Katze aus einem Mülleimer hochschreckte. Du hast über Tamar Greenwichs Leiden gespottet, bloß weil sie durch eine Laune der Pigmente mit einem braunen und einem grünen Auge geboren ist. Hast Etan und Wahrhaftig verachtet, obwohl man sich fragen muß, worin genau du eigentlich besser bist als sie. Hast grundlos Ted Tobias gekränkt, diesen ehrlichen, fleißigen Mann, der dir noch nie was Böses getan hat. Ein anderer an seiner Stelle hätte dich keinen Fuß mehr in seine Wohnung setzen lassen. Ganz zu schweigen davon, daß wir dank ihm und Jael vielleicht bald Düsenantrieb zu Lande haben.
    Was hast du mit dem Schatz des Lebens angefangen? Welchen Nutzen hast du gebracht? Neben der Unterzeichnung von Aufrufen?
    Und damit nicht genug, hast du auch deinem Vater, aus dessen Hand du lebst und dessen Freigebigkeit noch zig andere Menschen tagtäglich genießen, unnötig Sorgen bereitet. Als du im Radio vom Tod des arabischen Jungen aus Gaza, dem wir eine Kugel in den Kopf gejagt haben, hörtest – was genau hast du da unternommen? Du hast dich über die Formulierung aufgeregt. Hast gegen den Stil der Berichterstattung rebelliert. Und die Demütigung, die du Nina zugefügt hast, nachdem sie dich naß und dreckig mitten in der Nacht von der Straße weg in ihr Haus aufgenommen, dir Licht und Wärme gespendet und dir ihren Körper angeboten hat. Und dein Haß auf den jungen Siedler, dem schließlich auch dann, wenn man die Dummheit der Regierung und die Blindheit der Massen in Rechnung stellt, eigentlich nichts anderes übrigbleibt, als eine Pistole zu tragen, weil sein Leben bei den nächtlichen Fahrten auf den Straßen zwischen Hebron und Bethlehem tatsächlich in Gefahr ist. Was wolltest du denn von ihm? Daß er den Nacken hinhält und sich abschlachten läßt? Und Annette, mein werter Schützer der Moral? Was hast du Annette heute angetan? Die auf den ersten Blick an dich glaubte. Die harmlos naiv auf eine Rettung durch dich gehofft hat wie eine gepeinigte Bäuerin, die sich einem Gottesmann in irgendeinem russischen Kloster zu Füßen wirft und ihm ihr ganzes Herz ausschüttet. Die einzige Frau in deinem gesamten Leben, die dich mein Bruder genannt hat. Du wirst doch niemals wieder diese Gunst erfahren, von einer wildfremden Frau mein Bruder genannt zu werden. Die dir vertraut hat, ohne dich zu kennen, so sehr vertraut, daß siesich von dir hat ausziehen und ins Bett bringen lassen, Engel hat sie dich tituliert, und du bist vor ihr hinterlistig in das Gewand eines Heiligen geschlüpft, um dein Begehren zu tarnen. Und dann noch diese Katze, die du hier vor einer Minute aufgescheucht hast. Das wäre so mehr oder weniger die Summe deiner letzten Heldentaten, du Revolutionsratsvorsitzender, landesweiter Friedensstifter und Tröster verlassener Frauen. Es ließen sich zusätzlich das Fernbleiben von der Arbeit unter vorgeschobenen Behauptungen und eine unvollendete Selbstbefriedigung anführen. Abgesehen von dem Urin, der noch im Klosett schwimmt, und der Beerdigung des ersten Ungeziefers der Geschichte, das vor lauter Dreck gestorben ist.
    Damit war Fima an der letzten Laterne und am Ende der Straße angelangt, die auch das Ende des Wohnviertels und den Rand Jerusalems bildete. Danach schloß sich ein schlammiges Geröllfeld an. In Fima keimte das Verlangen, nicht anzuhalten, sondern geradeaus in die Dunkelheit hineinzulaufen, das Wadi zu durchqueren, den Berg hinaufzuklettern und immer weiterzugehen, solange es seine Kräfte erlaubten, um seine Pflicht als Nachtwächter Jerusalems zu erfüllen. Aber aus dem Finstern klangen fernes Hundebellen und zwei einzelne Schüsse, durch Stille unterbrochen. Nach dem zweiten Schuß kam Westwind auf, der ein seltsames Wispern und den Geruch feuchter Erde mitbrachte. Hinter seinem Rücken, auf der Straße, ertönte ein unklares Pochen, als gehe dort ein Blinder und taste vor sich mit dem Stock. Feiner Regen begann die Luft zu erfüllen.
    Fima erschauerte und machte kehrt nach Hause. Als wolle er sich selbst kasteien, beendete er trotz allem das Geschirrspülen einschließlich der klebrigen Pfanne, wischte die Küchentheke ab und betätigte die Klosettspülung. Nur den Mülleimer brachte er nicht mehr in den Hof hinunter, weil es schon Viertel

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