Der Dritte Zwilling.
den Wagen auf die linke Spur gelenkt und war entsetzlich erschrocken, als ein Fahrzeug, das sie überholen wollte, laut hupte, und Daddy das Lenkrad herumriß und den Thunderbird wieder auf die rechte Bahn steuerte.
Aber jetzt in ihrem Traum war Daddy nicht mehr dabei. Sie chauffierte ohne jegliche Hilfe, und obwohl Mom und Patty wußten , daß sie nicht über das Armaturenbrett sehen konnte, saßen sie völlig gelassen neben ihr. Und sie umklammerte das Lenkrad zusehends verkrampfter und wartete auf einen Zusammenprall, während die anderen Wagen immer lauter hupten.
Sie erwachte, die Nägel tief in die Handteller gekrallt und mit dem hartnäckigen Läuten der Türglocke in den Ohren. Es war sechs Uhr früh. Sie lag noch einen Augenblick ganz still und genoß die Erleichterung, als sie erkannt hatte, daß es nur ein Traum gewesen war. Dann sprang sie aus dem Bett und rannte zur Sprechanlage. »Hallo?«
»Ich bin’s, Ghita. Wach auf und laß mich rein.« Ghita wohnte in Baltimore und arbeitete im FBI-Hauptquartier in Washington.
Wahrscheinlich war sie auf dem Weg dorthin und hatte heute früher Dienst, folgerte Jeannie. Sie drückte auf den Knopf, um sie einzulassen; dann schlüpfte sie rasch in eines ihrer übergroßen T-Shirts, das bis zu den Knien reichte und schicklich genug für den unerwarteten Besuch einer Freundin war.
Ghita kam die Stufen hoch, der Archetyp einer rasch die Karriereleiter erklimmenden leitenden Angestellten eines Mega-Konzerns, in ihrem marineblauen Leinenkostüm, das schwarze Haar modisch kurz geschnitten, den kleinen Ohrsteckern und der Brille mit den großen, aber leichten Gläsern, und einer New York Times unter dem Arm.
»Was geht hier eigentlich vor?« war das erste, was Ghita sagte.
»Keine Ahnung, ich bin eben erst aufgewacht«, erwiderte Jeannie. Es sah ganz so aus, als hätte Ghita schlechte Nachrichten für sie.
»Mein Chef hat mich spät in der Nacht angerufen und mir befohlen, mich ab sofort von dir fernzuhalten.«
»Nein!« Sie brauchte unbedingt die FBI-Ergebnisse, um beweisen zu können, daß ihre Methode funktionierte, trotz des Rätsels mit Steven und Dennis. »Verdammt. Hat er einen Grund genannt?«
»Er hat behauptet, du verletzt mit deiner Forschungsmethode die Privatsphäre der betroffenen Familien.«
»Ungewöhnlich, daß ausgerechnet das FBI sich über so etwas Geringfügiges Sorgen macht.«
»Offenbar ist auch die New York Times derselben Auffassung.« Ghita zeigte Jeannie die Zeitung. Auf der Titelseite sprangen ihr die Schlagzeilen über einem Artikel ins Auge.
ETHIK IN DER GENFORSCHUNG
Zweifel, Ängste und Streit Jeannie befürchtete, daß sich der »Streit« auf sie bezog.
Jean Ferrami ist eine entschlossene junge Frau.
Trotz der Appelle ihrer wissenschaftlichen Kollegen und des Rektors der Jones-Falls-Universität in Baltimore, Maryland, beharrt sie eigensinnig darauf, damit weiterzumachen, medizinische Unterlagen zu durchsuchen, um getrennte Zwillinge aufzuspüren. »Ich habe einen Vertrag mit dieser Universität. Sie können nicht einfach über meinen Kopf hinweg entscheiden.« Und Zweifel über die Ethik ihrer Arbeit kann ihren Entschluß nicht ändern.
Jeannie wurde fast übel. »Mein Gott, das ist ja furchtbar!« stöhnte sie. Der Artikel ging nun zu einem anderen Thema über, der Erforschung von menschlichen Embryos, und Jeannie mußte bis Seite neunzehn weiterblättern, ehe sie einen neuerlichen Hinweis auf sich fand.
Dr. Jean Ferrami von der Psychologiefakultät der Jones-Falls-Universität bringt die altehrwürdige Lehranstalt in die Schlagzeilen. Obgleich der Rektor der Universität, Dr. Maurice Obell, und der führende Psychologe, Professor Berrington Jones, mehrmals ausdrücklich betont haben, daß Dr. Ferramis Arbeit die nötige Ethik vermissen ließe, weigert sie sich, ihre Forschung abzubrechen - und möglicherweise gibt es nichts, was irgend jemand tun kann, sie dazu zu zwingen.
Jeannie las bis zum Ende, doch in der Zeitung stand nichts über ihre Zusicherung, daß ihre Arbeit ethisch absolut einwandfrei sei. Es wurde nur auf dem einen Punkt herumgeritten, daß sie sich weigerte, ihre Forschungen einzustellen.
Es war schockierend und schmerzlich, so angegriffen zu werden. Sie fühlte sich verletzt und empört zugleich, fast genau wie vor vielen Jahren in einem Supermarkt in Minneapolis, als ein Dieb sie auf den Bo den stieß und ihr die Geldbörse entriß. Obwohl sie wußte, daß die Reporterin gehässig und skrupellos war,
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