Der Dritte Zwilling.
Feuerwehrleute einen Schlauch ins Gebäude zerrten, knöpfte der leitende Einsatzbeamte sich den Wachmann der Sporthalle vor und fragte: »Wo, meinen Sie, ist das Feuer ausgebrochen?«
»Im Damenumkleideraum«, antwortete der Wachmann.
»Und wo genau ist der?«
»Kellergeschoß. Hinterer Teil.«
»Wie viele Ausgänge gibt es im Kellergeschoß?«
»Nur einen. Da vorn, die Treppe, die rauf zur Haupthalle führt.«
Ein Wartungsmann, der in der Nähe stand, widersprach ihm. »Im Maschinenraum des Schwimmbeckens gibt’s ‘ne Leiter. Sie führt zu ‘ner Einstiegsluke im hinteren Teil der Halle.«
Jeannie trat auf den Feuerwehrchef zu. »Ich glaube, es ist noch jemand im Gebäude!« sagte sie drängend. »So tun Sie doch was!«
»Mann oder Frau?«
»Eine Frau. Vierundzwanzig. Klein, blond.«
»Wenn sie in der Halle ist, werden wir sie finden.« Für einen Moment war Jeannie erleichtert. Dann erst wurde ihr klar, daß der Feuerwehrchef ihr nicht versprochen hatte, Lisa lebend zu finden.
Der Sicherheitsmann, der im Umkleideraum gewesen war, war nirgends zu sehen. »Da war noch ein anderer Wachmann«, sagte Jeannie zum Feuerwehrchef.
»Unten, im Kellergeschoß. Ein hochgewachsener Kerl. Ich kann ihn nirgendwo sehen.«
»In dem Gebäude gibt es kein weiteres Sicherheitspersonal«, sagte der Wachmann.
»Aber er trug eine Mütze, auf der ›Security‹ stand, und er hat den Leuten gesagt, sie sollen das Gebäude verlassen!«
»Es ist mir egal, was er auf der Mütze …«
»Herrgott noch mal, wir haben keine Zeit für Diskussionen!« fuhr Jeannie ihn an.
»Vielleicht habe ich mir den Kerl nur eingebildet. Aber wenn nicht, ist sein Leben in Gefahr!«
In der Nähe stand ein Mädchen in einer Männerhose mit hochgerollten Aufschlägen und hörte ihnen zu. »Ich hab’ den Mann auch gesehen«, sagte sie.
»Ein widerlicher Typ. Er hat mich begrapscht.«
Der Feuerwehrchef erklärte: »Bewahren Sie Ruhe, wir werden jeden finden.
Danke für Ihre Mithilfe.« Damit ging er davon.
Für einen Augenblick starrte Jeannie den Wachmann an. Sie spürte, daß der Feuerwehrchef sie für eine hysterische Zicke hielt, weil sie den Wachmann angeschrien hatte. Zornig wandte sie sich ab. Was sollte sie jetzt tun? Die Feuerwehrleute stürmten in ihren Helmen und Stiefeln ins Gebäude. Sie selbst war barfuß und trug nur Jeans und ein T-Shirt. Sollte sie versuchen, gemeinsam mit den Feuerwehrleuten in die Sporthalle einzudringen, würden die Männer sie hinauswerfen. Verzweifelt ballte Jeannie die Fäuste. Denk nach! Denk nach! Wo könnte Lisa stecken!
Die Sporthalle stand neben dem Gebäude des Psychologischen Instituts, das nach Ruth W. Acorn benannt war, der Frau eines Gönners der Uni. Doch allgemein wurde das Gebäude - selbst innerhalb des Instituts - als ›Klapsmühle‹ bezeichnet. Hatte Lisa sich dorthin geflüchtet? Sonntags waren die Türen zwar abgeschlossen, doch Lisa besaß wahrscheinlich einen Schlüssel. Möglicherweise war sie ins Gebäude gerannt, um sich einen Laborkittel zu besorgen und damit ihre Blößen zu bedecken. Oder sie hatte sich einfach an ihren Schreibtisch gesetzt, um sich von dem Schock zu erholen. Jeannie beschloß nachzusehen.
Alles war besser, als untätig herumzustehen.
Sie flitzte über den Rasen zum Haupteingang der Klapsmühle und spähte durch die Glastüren. In der Eingangshalle war niemand. Jeannie zog ihre Plastikkarte aus der Tasche, die als Schlüssel diente, und ließ sie durch das Kartenlesegerät gleiten. Die Tür öffnete sich. Jeannie stürmte die Treppe hinauf und rief: »Lisa!
Bist du da?« Das Labor war menschenleer. Lisas Stuhl war ordentlich unter den Schreibtisch geschoben, und der Monitor ihres Computers war grau und leer.
Jeannie schaute auf der Damentoilette am Ende des Flurs nach. Nichts.
»Verdammt!« stieß sie verzweifelt hervor. »Wo steckst du?«
Keuchend eilte sie nach draußen. Sie beschloß, die Sporthalle zu umrunden, für den Fall, daß Lisa irgendwo auf dem Boden saß und nach Atem rang. Jeannie rannte an einer Seite des Gebäudes entlang und über einen Hof, auf dem riesige Müllbehälter standen. Auf der Rückseite der Halle befand sich ein kleiner Parkplatz. Jeannie sah, daß eine Gestalt im Laufschritt über den Gehweg eilte und sich dabei von der Halle entfernte. Die Gestalt war zu groß, als daß es Lisa hätte sein können. Jeannie war ziemlich sicher, daß es ein Mann war, vielleicht der vermißte Mann vom Wachdienst. Doch bevor Jeannie sicher
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