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Der Dritte Zwilling.

Der Dritte Zwilling.

Titel: Der Dritte Zwilling. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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letzten Sprosse auf dem Betonboden.
    Sie befand sich in einem großen Raum voller Pumpen und Filter, die vermutlich für das Schwimmbecken dienten. Es roch durchdringend nach Rauch, doch Jeannie konnte normal atmen. Sie sah Lisa sofort, und bei dem Anblick schrie sie auf. Lisa lag auf der Seite, nackt, in fötaler Haltung, die Knie an den Leib gezogen. Auf ihrem Oberschenkel war irgend etwas Dunkles, Verschmiertes zu erkennen, das wie Blut aussah. Sie rührte sich nicht. Für einen Moment war Jeannie starr vor Angst. Sie versuchte, die Beherrschung wiederzuerlangen.
    »Lisa!« rief sie, hörte den schrillen Beiklang von Hysterie in ihrer Stimme und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Bitte, lieber Gott, laß ihr nichts passiert sein! Sie ging durch den Maschinenraum, bewegte sich durch das Gewirr von Rohrleitungen, und kniete neben der Freundin nieder. »Lisa?«
    Lisa schlug die Augen auf.
    »Gott sei Dank«, sagte Jeannie. »Ich dachte, du wärst tot.« Langsam setzte Lisa sich auf, wich dabei Jeannies Blicken aus. Ihre Lippen waren geschwollen und aufgeplatzt. »Er … er hat mich vergewaltigt«, sagte sie.
    Jeannies Erleichterung, die Freundin lebend gefunden zu haben, wich einem Übelkeit erregenden Schauder. Eine eisige Hand schien ihr Herz zu quetschen.
    »Mein Gott! Hier?«
    Lisa nickte. »Er hat gesagt, hier wäre der Ausgang.« Jeannie schloß die Augen.
    Sie spürte Lisas Schmerz und die Demütigung; das Gefühl, mißbraucht und verletzt und beschmutzt worden zu sein. Tränen traten ihr in die Augen; sie hielt sie verzweifelt zurück. Für einen Moment war sie zu zittrig, auch nur ein Wort hervorzubringen.
    Dann riß sie sich zusammen, so gut sie konnte. »Wer war der Kerl?«
    »Ein Sicherheitsmann.«
    »Mit einem gepunkteten Tuch vor Mund und Nase?«
    »Er hat es weggenommen.« Lisa wandte sich ab. »Er hat die ganze Zeit gegrinst.«
    Das paßte. Das Mädchen in der Khaki-Hose hatte gesagt, ein Sicherheitsmann hätte sie begrapscht. Und der Wachmann der Sporthalle hatte erklärt, es gäbe kein weiteres Sicherheitspersonal im Gebäude. »Der Kerl war kein Wachmann«, sagte Jeannie. Ihn hatte sie vor wenigen Minuten gesehen, als er über den Gehweg von der Sporthalle fortgerannt war. Eine Woge heißen Zorns überschwemmte sie bei dem Gedanken, daß der Kerl seine schreckliche Tat genau hier vollbracht hatte, auf dem Campus, in der Sporthalle, wo sie sich alle so sicher fühlten, daß sie sich nackt auszogen und duschten. Jeannies Hände zitterten. Am liebsten wäre sie dem Mistkerl hinterhergerannt und hätte ihn erwürgt.
    Sie hörte laute Geräusche: die Rufe von Männern, schwere Schritte, das Rauschen von Wasser. Die Feuerwehrleute setzten Löschschläuche ein. »Hör zu«, sagte Jeannie drängend, »hier unten sind wir in Gefahr. Wir müssen raus hier.«
    Lisas Stimme klang dumpf und unbeteiligt. »Ich hab’ nichts anzuziehen.«
    Wir könnten hier unten sterben! »Mach dir keine Gedanken darüber, ob du was anzuziehen hast. Da draußen sind alle halbnackt.« Hastig ließ Jeannie den Blick durch den Raum schweifen und entdeckte Lisas roten, spitzenbesetzten Büstenhalter und das Höschen; beides lag als staubiges Bündel unter einem Tank.
    Jeannie hob die Sachen auf. »Zieh deine Unterwäsche an. Ist zwar schmutzig, aber besser als gar nichts.« Lisa blieb auf dem Boden sitzen und starrte mit leerem Blick vor sich hin.
    Jeannie kämpfte eine aufsteigende Panik nieder. Was sollte sie tun, wenn Lisa sich nicht von der Stelle rührte? Wahrscheinlich konnte sie Lisa hochheben, aber konnte sie die Freundin auch die Leiter hinauftragen? Jeannie hob die Stimme.
    »Nun mach schon, steh auf!« Sie packte Lisas Hände und zog sie hoch.
    Endlich schaute Lisa der Freundin in die Augen. »Jeannie, es war grauenhaft«, sagte sie.
    Jeannie legte ihr die Arme um die Schultern und drückte sie fest an sich. »Es tut mir leid, Lisa«, sagte sie, »es tut mir schrecklich leid.«
    Trotz der schweren Tür wurde der Rauch dichter. Jeannies Mitleid wurde von Furcht verdrängt. »Wir müssen raus hier - der Bau brennt ab. Um Himmels willen, zieh dich an!«
    Endlich kam Leben in Lisa. Sie streifte ihr Höschen über und zog den BH an.
    Jeannie nahm sie bei der Hand, führte sie zur Leiter im Mauerwerk und sorgte dafür, daß Lisa als erste die Sprossen hinaufstieg. Als Jeannie ihr folgen wollte, flog die Tür krachend auf, und ein Feuerwehrmann kam in den Maschinenraum, in eine Rauchwolke gehüllt. Wasser wirbelte um seine

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