Der Dritte Zwilling.
aus den sechziger Jahren erinnerte. »Nein.«
Das nächste Gesicht hatte leicht gewelltes Haar. »Das kommt der Sache schon näher«, sagte Lisa. »Aber ich glaube, er hatte einen Scheitel.«
Das nächste Bild zeigte stärker gewelltes Haar mit Scheitel. »Noch besser«, sagte Lisa. »Noch besser als beim letztenmal. Aber das Haar ist zu dunkel.«
»Wenn wir alle Frisuren durchgegangen sind«, sagte Mish, »kommen wir zu den Bildern zurück, auf denen Sie den Täter am ehesten wiedererkannt haben. Dann wählen wir das beste Bild aus. Sobald wir das gesamte Gesicht rekonstruiert haben, können wir es weiter verbessern, indem wir Retuschen vornehmen - wir färben das Haar heller oder dunkler, verschieben die Bildteile, und machen das ganze Gesicht älter oder jünger.«
Jeannie war fasziniert, doch die Sache würde noch eine Stunde oder mehr in Anspruch nehmen, und sie mußte ins Labor. »Ich mache mich jetzt auf den Weg«, sagte sie. »Ist mit dir wirklich alles in Ordnung, Lisa?«
»Es geht schon«, erwiderte Lisa, und Jeannie erkannte, daß sie die Wahrheit sagte. Vielleicht war es besser für Lisa, wenn sie an der Jagd auf den Mann beteiligt wurde. Jeannie warf einen Blick auf Mishs Gesicht und sah, wie ein Ausdruck des Triumphs über das Gesicht der Sergeantin huschte. Habe ich mich geirrt, fragte sich Jeannie. War es ein Fehler, sich dieser Frau gegenüber feindselig verhalten und sich schützend vor Lisa gestellt zu haben? Mish war sympathisch, ohne Frage. Sie fand die richtigen Worte. Dennoch bestand ihr Hauptziel nicht darin, Lisa zu helfen, sondern den Vergewaltiger zu fassen. Lisa brauchte noch immer eine richtige Freundin, einen Menschen, dem es vor allem um sie ging.
»Ich rufe dich an, Lisa«, sagte Jeannie.
Lisa umarmte sie. »Ich kann dir gar nicht genug danken, daß du bei mir geblieben bist.«
Mish blickte Jeannie an und streckte die Hand aus. »Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.«
Jeannie schüttelte die dargebotene Hand. »Viel Glück«, sagte sie. »Ich hoffe, Sie erwischen den Kerl.«
»Ich auch«, entgegnete Mish.
Kapitel 5
Steve stellte seinen Wagen auf dem großen Parkplatz in der südwestlichen Ecke des hundert Hektar großen Geländes der Jones Falls ab. Es war kurz vor zehn Uhr vormittags, und auf dem Campus wimmelte es von Studenten in leichter Sommerkleidung, die auf dem Weg zu den ersten Vorlesungen des Tages waren.
Während Steve über den Campus ging, hielt er nach der Tennisspielerin Ausschau. Er wußte, daß die Wahrscheinlichkeit, sie wiederzusehen, sehr gering war, doch er starrte jeder hochgewachsenen dunkelhaarigen Frau ins Gesicht, ob sie vielleicht einen Ring im Nasenflügel trug.
Das Ruth-W.-Acorn-Institut für Psychologie war ein modernes viergeschossiges Bauwerk, das aus den gleichen roten Ziegelsteinen errichtet war wie die älteren, eher traditionellen Hochschulgebäude. In der Eingangshalle nannte Steve seinen Namen und wurde ins Labor geführt.
In den nächsten drei Stunden mußte er mehr Untersuchungen über sich ergehen lassen, als er für möglich gehalten hätte. Er wurde gewogen, gemessen, und man nahm seine Fingerabdrücke. Wissenschaftler, Techniker und Studenten fotografierten seine Ohren, maßen die Kraft, die er aufbrachte, wenn er die Hand zur Faust ballte, und studierten seine Reflexe auf schockhafte äußere Einflüsse, indem sie ihm Bilder von Brandopfern oder verstümmelten Körpern zeigten. Er beantwortete Fragen über seine Freizeitinteressen, seinen religiösen Glauben, seine Freundinnen und seine beruflichen Ziele. Er mußte erklären, ob er eine Türklingel reparieren konnte, ob er sich für gepflegt hielt, ob er seine Kinder schlagen würde, und ob bestimmte Musik in seinem Inneren Bilder oder sich verändernde Farbmuster hervorrief. Doch niemand sagte ihm, weshalb man gerade ihn für diese Untersuchungen ausgewählt hatte.
Er war nicht die einzige Versuchsperson. Im Labor hielten sich zwei kleine Mädchen sowie ein Mann mittleren Alters auf, der Cowboystiefel, Jeans und ein Westernhemd trug. Um die Mittagszeit versammelten sich alle Probanden in einem Ruheraum, der mit Sofas und einem Fernseher ausgestattet war, aßen Pizza und tranken Cola. Erst beim Essen fiel Steve auf, daß es zwei Männer mittleren Alters mit Cowboystiefeln gab: Sie waren Zwillinge, beide vollkommen gleich gekleidet.
Steve stellte sich den Cowboys vor. Er erfuhr, daß sie Benny und Arnold hießen; die beiden kleinen Mädchen hießen Sue und Elizabeth.
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