Der Dritte Zwilling.
Schild mit der Aufschrift »Staatsgefängnis Greenwood« vom Highway ab. Es war ein altertümliches Gefängnis, eine Ansammlung grauer Steingebäude, die von hohen Mauern umgeben waren, auf denen Stacheldrahtzäune verliefen.
Jeannie und Lisa stellten den Wagen im Schatten eines Baumes auf dem Besucherparkplatz ab. Jeannie zog ihre Jacke an, verzichtete aber auf die Nylonstrümpfe.
»Bist du bereit?« fragte Jeannie. »Wahrscheinlich sieht Dennis ganz genauso aus wie der Kerl, der dich vergewaltigt hat; es sei denn, mein Computerprogramm taugt nichts.«
Lisa nickte entschlossen. »Ich bin bereit.«
Als sie zum Haupttor gelangten, fuhr gerade ein Lieferwagen hinaus, und sie wurden unbehelligt durchgelassen. Mit der Sicherheit scheint man es hier nicht allzu streng zu halten, ging es Jeannie durch den Kopf, trotz Mauer und Stacheldraht.
Die beiden Frauen wurden bereits erwartet. Ein Wärter überprüfte ihre Ausweise und führte sie über einen glutheißen Hof, auf dem sich eine Handvoll junger Farbiger in Sträflingskleidung einen Basketball zuwarfen.
Das Verwaltungsgebäude war klimatisiert. Jeannie und Lisa wurden John Temoigne vorgestellt, dem Gefängnisdirektor. Er trug ein kurzärmeliges Hemd mit Krawatte; im Aschenbecher auf seinem Schreibtisch lagen ausgedrückte Zigarrenstumpen. Jeannie schüttelte Temoigne die Hand. »Ich bin Dr. Jean Ferrami von der Jones-Falls-Universität.«
»Hi, Jean, wie geht’s?«
Temoigne gehörte offensichtlich zu den Männern, denen es schwerfiel, eine Frau mit dem Nachnamen anzureden. Bewußt verschwieg Jeannie ihm Lisas Vornamen. »Und das ist meine Assistentin, Miß Hoxton.«
»Hallo, junge Frau.«
»Ich habe Ihnen ja bereits in meinem Brief erklärt, Herr Direktor, womit wir uns beschäftigen, aber falls Sie noch irgendwelche Fragen haben, beantworte ich sie Ihnen gern.« Jeannie mußte dies sagen, wenngleich sie darauf brannte, endlich Dennis Pinker zu Gesicht zu bekommen.
»Sie müssen wissen, daß Pinker ein gewalttätiger und gefährlicher Mann ist«, erklärte Temoigne. »Kennen Sie die Einzelheiten seines Verbrechens?«
»Soviel ich weiß, hat er in einem Kino eine Frau sexuell belästigt, und als sie sich zu wehren versuchte, hat er sie ermordet.«
»Sie sind nahe dran. Es geschah im alten Eldorado-Kino unten in Greensburg.
Damals lief irgendein Horrorfilm. Pinker ist ins Kellergeschoß eingedrungen und hat das Hauptstromkabel lahmgelegt. Als im Dunkeln dann alle in Panik gerieten, ist Pinker zwischen den Leuten herumgelaufen und hat die Mädchen begrapscht.«
Jeannie wechselte einen erstaunten Blick mit Lisa. Es war eine ähnliche Situation wie in der Sporthalle der JFU am Sonntag. Auch dort hatte ein plötzlicher, ungewöhnlicher Vorfall für Verwirrung und Panik gesorgt und dem Eindringling seine Chance verschafft. Überdies haftete beiden Vorfällen etwas Unreifes an, als wären sie die lüsternen Phantasien eines Halbwüchsigen: in einem dunklen Kino Mädchen zu betatschen und junge Frauen zu beobachten, wie sie nackt aus einem Umkleideraum flüchteten. Falls Steve Logan und Dennis Pinker eineiige Zwillinge waren, schienen sie ganz ähnliche Verbrechen begangen zu haben.
Temoigne fuhr fort: »Leider war eine Frau so unklug, Pinker Widerstand zu leisten. Er hat sie erwürgt.«
In Jeannie stieg Zorn auf. »Wenn er Sie begrapscht hätte, Herr Direktor, wären Sie dann auch so ›unklug‹ gewesen, sich zu wehren?«
»Ich bin kein Mädchen«, erwiderte Temoigne mit dem Gehabe eines Mannes, der eine Trumpfkarte ausspielt. Bevor die Situation sich zuspitzen konnte, mischte Lisa sich ein. »Wir sollten anfangen, Dr. Ferrami - es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns.«
»Sie haben recht.«
»Normalerweise«, erklärte Temoigne, »müßten Sie bei der Befragung durch ein Gitter von dem Gefangenen getrennt sein. Aber Sie haben ja extra darum gebeten, in ein und demselben Raum mit Pinker zu reden. Doch ich möchte Sie bitten, sich das noch einmal gut zu überlegen. Pinker ist ein unberechenbarer und gewalttätiger Verbrecher.«
Jeannie spürte, wie sie erschauerte, doch nach außen blieb sie gelassen. »Wenn wir mit Dennis sprechen, ist doch die ganze Zeit ein bewaffneter Wärter im Zimmer?«
»Selbstverständlich. Dennoch wäre mir wohler, wenn Sie durch ein Gitter aus Maschendraht von dem Gefangenen getrennt wären.« Ein mattes Grinsen legte sich auf sein Gesicht. »Ein Mann braucht kein Psychopath zu sein, um im Beisein zweier so attraktiver
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