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Der Dritte Zwilling.

Der Dritte Zwilling.

Titel: Der Dritte Zwilling. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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oder gütig?
    Hatte sie gute oder schlechte Laune? War sie eine warm herzige, vorurteilsfreie Frau mit Seele? Oder ein hartes, voreingenommenes Mannweib, das sich insgeheim wünschte, sie könnte sie alle auf den elektrischen Stuhl schicken? Er starrte auf ihre blauen Augen, ihre schmale Nase, ihr mit grauen Strähnen durchzogenes dunkles Haar. Hatte sie einen Mann, der sich mit Bier volllaufen ließ? Einen erwachsenen Sohn, um den sie sich Sorgen machte? Ein geliebtes Enkelkind, mit dem sie auf dem Teppich herumtollte? Oder lebte sie allein in einer teuren Wohnung voll hypermoderner Möbel mit scharfen Kanten? Bei seinen Juravorlesungen waren auch die theoretischen Gründe er wähnt worden, die einen Richter bewogen, Kaution zu gewähren oder abzulehnen. Aber nun kamen sie ihm fast unwesentlich vor. Wirklich wichtig erschien ihm jetzt lediglich, ob diese Frau des Mitgefühls fähig war oder nicht.
    Sie blickte auf die Bankreihe mit den Häftlingen. »Guten Tag. Sie befinden sich hier, damit über eine mögliche Kaution entschieden werden kann.« Ihre Stimme war leise, aber klar, sie sprach deutlich und präzise. Alles an ihr wirkte präzise und penibel - außer der Cola dose, die ihr wenigstens eine kleine menschliche Note verlieh. Das ließ Steve hoffen.
    »Haben Sie alle Ihre Anklageschrift erhalten?« Das hatten sie, ohne Ausnahme.
    Sie machte sie auf ihre Rechte aufmerksam und er klärte, was sie tun mußten, um einen Rechtsbeistand zu bekommen.
    Danach forderte die Richterin sie auf: »Heben Sie die rechte Hand, sobald Sie aufgerufen werden. lan Thompson.« Ein Häftling hob die Hand. Sie verlas die Punkte der Anklage und gab die zu erwartende Höchststrafe bekannt, lan Thompson war in der teuren Wohngegend am Roland Park in drei Häuser eingebrochen. Den südländisch aussehenden Mann, der einen Arm in der Schlinge trug, schien das überhaupt nicht zu interessieren. Gelangweilt blickte er zur Decke.
    Als sie ihm erklärte, daß er das Recht auf eine Anhörung und Vorverhandlung sowie ein Verfahren vor der Grand Jury habe, wartete Steve aufgeregt, ob die Richterin sich in diesem Fall für oder gegen eine Freilassung auf Kaution entscheiden würde.
    Der leitende Untersuchungsbeamte erhob sich. Er redete sehr schnell und völlig emotionslos, als er erklärte, daß Thompson seit bereits einem Jahr bei der
    angegebenen Adresse fest wohnhaft war und daß er eine Frau und ein Baby hatte, jedoch keiner geregelten Arbeit nachging. Auch, daß er heroinabhängig und mehrfach vorbestraft war, kam zur Sprache. Steve hätte einen solchen Mann nicht so schnell wieder auf die Menschheit losgelassen.
    Die Richterin setzte jedoch eine Kaution von fünfundzwanzigtausend Dollar fest.
    Das machte Steve neuen Mut. Er wußte, daß der An geklagte gewöhnlich nur zehn Prozent der Kaution in bar hinterlegen mußte. Thompson würde also entlassen werden, wenn er zweitausend-fünfhundert Dollar auftreiben konnte.
    Steve fand das sehr großzügig. Eines der Mädchen war als nächstes an der Reihe.
    Sie hatte sich mit einem anderen Mädchen in die Haare gekriegt und war wegen tätlicher Beleidigung angezeigt. Der Untersuchungsbeamte erläuterte der Richterin, daß sie bei ihren Eltern lebte und bei einem hiesigen Supermarkt als Kassiererin arbeitete. Da die Richterin offenbar kein Risiko sah, genügte ihr eine schriftliche Versicherung, daß sie die Stadt bis zur Verhandlung nicht verlassen würde, was bedeutete, daß sie keine Kaution hinterlegen mußte.
    Das war eine weitere großzügige Entscheidung, und Steve machte sich nun noch größere Hoffnungen.
    Der Angeklagten wurde außerdem untersagt, sich in die Nähe des Mädchens zu begeben, mit dem sie den tätlichen Streit gehabt hatte. Das erinnerte Steve daran, daß ein Richter eine Freilassung auf Kaution mit diversen Auflagen verbinden konnte. Vielleicht sollte er von sich aus versichern, daß er sich von Lisa Hoxton fernhalten würde. Er hatte zwar keine Ahnung, wo sie wohnte oder wie sie aussah, aber er war bereit, alles zu versprechen, was helfen mochte, daß er nicht mehr ins Gefängnis zurück mußte.
    Der nächste Angeklagte war ein Weißer mittleren Alters, der vor den entsetzten Kundinnen eines Drugstores seinen Penis entblößt hatte, ein Wiederholungstäter mit einem endlos langen Vorstrafenregister. Er lebte allein, hatte jedoch seit fünf Jahren denselben Wohnsitz. Zu Steves Verwunderung und Bestürzung lehnte die Richterin es ab, ihn auf Kaution freizulassen. Der Mann

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