Der Dschungel
Schliemann seine Behauptung stütze, daß eine Gesellschaft bestehen könne, wenn jedes ihrer Mitglieder nur täglich eine Stunde arbeitet.
Er bekam zur Antwort: »Wie groß die Produktivkraft der Gesellschaft einmal sein wird, wenn man die jetzigen Möglichkeiten der Wissenschaft voll nutzt, läßt sich zwar nicht exakt ermitteln, doch dürfen wir sicher sein, daß sie alles übersteigen wird, was dem an die grausame Barbarei des Kapitalismus gewöhnten Geist noch glaubhaft klingt. Nach dem Sieg des Proletariats im Weltmaßstab ist Krieg natürlich undenkbar; und wer könne schon berechnen, was ein Krieg die Menschheit kostet? Zu veranschlagen sind ja nicht nur die Menschenleben und das Material, die er vernichtet, nicht nur der Unterhalt von Millionen nichts schaffenden Männern sowie deren Bewaffnung und Ausrüstung für Schlacht und Parade, sondern auch der Verschleiß an Lebenskraft der Gesellschaft durch die Ausrichtung auf den Krieg und durch die Schrecken des Krieges, durch die Brutalität und Dummheit, die Trunksucht, Prostitution und Kriminalität, die er mit sich bringt, durch die industrielle Stagnation und der moralische Tiefgang. Fänden Sie es zu hoch gegriffen, wenn man sagt, daß zwei Stunden vom Arbeitstag eines jeden arbeitsfähigen Mitgliedes eines Gemeinwesens dafür draufgehen, den blutgierigen Dämon Krieg zu füttern?«
Dann zeigte Schliemann auf, was infolge des Konkurrenzkampfes verlorengehe respektive nutzlos vertan werde: durch den Wirtschaftskrieg mit seiner Vergeudung von Energien, durch die ständigen Sorgen und Spannungen, durch die Laster – wie zum Beispiel den Alkohol, bei dem sich der Konsum innerhalb der letzten zwanzig Jahre auf Grund des verschärften ökonomischen Kampfes nahezu verdoppelt habe durch die untätigen und unproduktiven Mitglieder der Gesellschaft, die nichtsnützigen Reichen und die zu Bettlern gemachten Armen, durch die Justiz und den gesamten Unterdrückungsapparat, durch die gesellschaftliche Geltungssucht, die Putzmacherinnen und Schneiderinnen, die Frisöre, Tanzlehrer, Küchenchefs und Lakaien erfordert. »In einer vom ökonomischen Konkurrenzkampf beherrschten Gesellschaft«, sagte er, »ist zwangsläufig Geld der Beweis für Tüchtigkeit und Verschwendung das einzige Kriterium für Macht. Folglich haben wir derzeit eine Gesellschaft, in der, sagen wir, dreißig Prozent der Bevölkerung mit der Produktion nutzloser Waren beschäftigt sind und ein Prozent damit, diese Waren wieder zu vernichten. Und das ist noch nicht alles, denn die Diener und Kulis dieser Parasiten sind ja ebenfalls Parasiten, die Putzmacherinnen, die Juweliere, die Lakaien müssen ja ebenfalls von den nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft erhalten werden. Und dann dürfen Sie auch nicht vergessen, daß diese schreckliche Krankheit nicht bloß die Müßiggänger und ihre Trabanten befällt, sondern die gesamte Gesellschaft infiziert. Unter den hunderttausend Frauen der sogenannten ›Creme‹ stehen eine Million Frauen aus der Mittelschicht, die unglücklich sind, weil sie nicht zu dieser Creme gehören, und die alles daransetzen, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, als gehörten sie doch dazu. Und wieder eine Stufe tiefer stehen fünf Millionen Farmersfrauen, die Modejournale lesen und ihre Hüte herausputzen, sowie Verkäuferinnen und Dienstmädchen, die sich für Talmischmuck und einen imitierten Sealpelz ans Bordell verkaufen. Bedenken Sie ferner, daß zu diesem Wettstreit an Aufwand ja noch – wie Öl auf die Flamme – das ganze Konkurrenzsystem des Verkaufs hinzukommt! Da sind die Firmen, die Tausende Arten von Schundartikeln ersinnen, herstellen und auf den Markt werfen, die Ladenbesitzer, die diese in ihre Schaufenster legen, und die Zeitungen, die mit Anzeigen für sie werben!«
»Und vergessen Sie nicht all die Vergeudung durch Schwindel und Betrug«, schaltete sich Fisher ein.
»Kommt man zur modernen Reklame«, pflichtete Schliemann bei, »der Wissenschaft, Leute zum Kauf von Dingen zu überreden, die sie überhaupt nicht brauchen, ist man wahrlich mitten in den schaurigen Katakomben der kapitalistischen Zerstörungswut und weiß kaum, welchen von einem Dutzend Greuel man zuerst aufzeigen soll. Bedenken Sie nur, was für Zeit und Kraft vertan wird mit der Herstellung zehntausend verschiedener, lediglich der Befriedigung von Großmannssucht und Snobismus dienender Sorten eines Artikels, wo doch eine einzige den Zweck vollauf erfüllen würde! Was vertan
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