Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
Vom Netzwerk:
festem Griff am Arm hielt, damit er sich nicht auf den Lademeister stürzen konnte.
    Jurgis hörte zu, wie Connor nach Betreten des Zeugenstandes vereidigt wurde und dann seine Geschichte erzählte: Die Frau des Angeklagten wäre in einer Nachbarabteilung der seinen beschäftigt gewesen und wegen ihres unverschämten Betragens ihm gegenüber entlassen worden. Eine halbe Stunde danach sei er plötzlich überfallen, niedergeschlagen und um ein Haar erwürgt worden. Er habe Zeugen dafür mitgebracht ...
    »Auf die werden wir wahrscheinlich verzichten können«, bemerkte Callahan und wandte sich dann an Jurgis: »Geben Sie zu, den Kläger angegriffen zu haben?«
    »Den da?« Jurgis zeigte mit dem Finger auf Connor.
    »Ja.«
    »Jawohl, Herr Richter, dem hab ich’s gegeben.«
    »Er heißt ›Euer Ehren‹.« Der Polizist kniff ihm fest in den Arm.
    »Sie wollten ihn erwürgen?« fragte Callahan.
    »Jawohl, Herr Euer Ehren.«
    »Sind Sie vorbestraft?«
    »Nein, Herr Euer Ehren.«
    »Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung vorzubringen?«
    Jurgis wußte nicht recht, was er darauf antworten sollte. In den zweieinhalb Jahren hatte er zwar genug Englisch gelernt, um sich im täglichen Leben zu verständigen, aber dazu gehörte nicht die Aussage, es habe jemand seine Frau unter Nötigung verführt. Ein-, zweimal setzte er an, stockend und stotternd, sehr zum Verdruß des Richters, der wegen des Düngergestanks nach Luft rang. Schließlich gelang es ihm, begreiflich zu machen, daß sein Wortschatz nicht ausreiche, und daraufhin trat ein elegant gekleideter junger Mann mit gewichstem Schnurrbart vor und forderte ihn auf, sich seiner Muttersprache zu bedienen.
    Jurgis begann. In dem Glauben, man würde ihm genügend Zeit geben, legte er dar, wie der Lademeister das Abhängigkeitsverhältnis seiner Frau ausgenutzt und ihr mit Entlassung gedroht habe, um sie willfährig zu machen.
    Als der Dolmetscher das übersetzte, unterbrach ihn Callahan, dessen Terminkalender übervoll war und der sein Automobil zu einer festen Zeit bestellt hatte, mit der Bemerkung: »So, so. Nun, wenn er Ihrer Frau nachstellte, warum hat sie sich dann nicht beim Chef beschwert oder dort aufgehört zu arbeiten?«
    Die Frage verdutzte Jurgis, und er zögerte wieder. Dann begann er zu erklären, daß sie sehr arm seien ... daß eine neue Arbeit nur schwer zu bekommen wäre ... und ...
    »Verstehe«, sagte Callahan. »Und da hielten Sie es für einfacher, ihn zusammenzuschlagen.« Er wandte sich an den Kläger und fragte: »Ist an dieser Geschichte etwas Wahres, Mr. Connor?«
    »Kein Sterbenswörtchen, Euer Ehren«, antwortete der Lademeister. »Es ist widerlich – jedesmal wenn man eine Frau entlassen muß, kommen sie mit so einem Märchen an.«
    »Ja, ich weiß«, kam es vom Richterstuhl. »Ich höre das oft genug. Der Kerl scheint Sie ja übel zugerichtet zu haben. Dreißig Tage und die Gerichtskosten. Der nächste Fall.«
    Verwirrt hatte Jurgis zugehört. Erst als der Polizist, der ihn am Arm hielt, sich bereits anschickte, ihn hinauszuführen, ging ihm auf, daß dies das Urteil gewesen war. Er blickte wild in die Runde. Dann fuhr er herum und schrie in höchster Erregung den Richter an: »Dreißig Tage! Was wird aus meiner Familie? Ich habe eine Frau und ein kleines Kind, und sie haben kein Geld – mein Gott, Sie werden verhungern!«
    »Daran hätten Sie denken sollen, bevor Sie tätlich wurden«, erklärte Richter Callahan trocken und wandte sich dem nächsten Angeklagten zu.
    Jurgis wollte noch etwas sagen, aber der Polizist drehte ihm durch einen Griff am Kragen die Luft ab, und ein zweiter kam in offenkundig feindlicher Absicht auf ihn zu. So ließ sich Jurgis dann von beiden abführen. Ganz hinten im Saal sah er Elzbieta und Kotrina, die aufgestanden waren und ängstlich zu ihm herüberschauten. Sein Versuch, zu ihnen zu gelangen, wurde durch einen weiteren Ruck an seinem Hals vereitelt, und da senkte er den Kopf und gab auf. Sie schoben ihn in einen vergitterten Raum, wo schon andere Abgeurteilte warteten; sobald sich das Gericht vertagt hatte, wurde er zusammen mit ihnen nach unten gebracht, wo bereits die »Schwarze Maria«, wie hier der Gefangenenwagen hieß, bereitstand und sie dann abtransportierte.
     
    Diesmal kam Jurgis ins Bridewell, die Chicagoer Haftanstalt für »Leichtverbrecher«. Sie war noch schmutziger und überfüllter als das Untersuchungsgefängnis, aus dem all die kleinen Fische, die Bagatelldiebe und -betrüger, die Randaleure und

Weitere Kostenlose Bücher