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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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lebte, zwar schon öfter mal angeweht worden, hier aber wurde er zum ersten Mal von ihrem Schmutz bespritzt, kam zum ersten Mal mit wirklichem Abschaum in Berührung. Dieses Gefängnis war eine Arche Noah des Verbrechertums von Chicago. Hier gab es Mörder, Straßenräuber und Einbrecher, Hochstapler, Falschmünzer, Bauernfänger und Bigamisten, Laden- und Taschendiebe, Berufsspieler und Zuhälter, Randaleure, Bettler, Vagabunden und Säufer – aller Altersstufen, Hautfarben und Nationalitäten; abgebrühte Kriminelle und Unschuldige, die nicht das Geld für eine Kaution aufbringen konnten, alte Männer und noch nicht einmal halbwüchsige Jungen. Sie waren der Eiter aus der großen Pestbeule der Gesellschaft, häßlich anzusehen und widerlich anzuhören. Alles Lebenswerte war in ihnen faulig geworden; Liebe hatte sich zu Bestialität verkehrt, Freude zu einem Fallstrick und Gott zu einer Verwünschung. Sie schlenderten auf dem Hof umher, und Jurgis hörte ihnen zu. Er kannte sich in nichts aus, sie aber hatten Erfahrung, waren überall gewesen, waren alles durch. Sie konnten das Ganze in seiner Abscheulichkeit darlegen, das innerste Wesen einer Stadt enthüllen, in der Gerechtigkeit, Ehre, Frauenkörper und Männerseelen auf dem Marktplatz feilgeboten wurden, einer Stadt, deren Bewohner rangen und fochten, übereinander herfielen wie Wölfe in der Grube, einer Stadt, in der die Begierden lodernde Flammen und die Menschen der Brennstoff waren und in ihrer eigenen Verkommenheit schmorten. In diesen tierischen Kampf aller gegen alle, in diesen Dschungel waren die Männer hier hineingeboren worden, ohne daß man sie gefragt hatte; sie nahmen daran teil, weil ihnen keine andere Wahl blieb; daß sie im Gefängnis saßen, empfanden sie nicht als Schande, denn das Spiel war ja nicht fair gewesen, war mit gezinkten Karten erfolgt. Sie hatten Cent-Beträge ergaunert und gestohlen und waren erwischt und aus dem Wege geräumt worden von jenen, die Millionen Dollar ergaunert und gestohlen hatten.
     
    Vor dem meisten suchte Jurgis die Ohren zu verschließen. Der bittere Sarkasmus dieser Männer machte ihm angst, und meist war er ohnehin mit dem Herzen weit weg, daheim bei seinen Lieben. Mitten in den Erzählungen gingen seine Gedanken oft auf die Reise, und es traten ihm Tränen in die Augen – dann holte ihn das spöttische Gelächter der anderen wieder zurück.
    Eine Woche verbrachte er in dieser Gesellschaft, und all die Zeit hatte er keine Nachricht von zu Hause. Er gab einen seiner fünfzehn Cent für eine Postkarte aus, und sein Zellengenosse schrieb für ihn an die Familie, wo er sei und wann seine Verhandlung stattfinde; es kam jedoch keine Antwort. Silvester war es schließlich soweit, und Jurgis nahm Abschied von Jack Duane. Der gab ihm seine Adresse oder vielmehr die seiner Freundin, und Jurgis mußte ihm versprechen, ihn besuchen zu kommen. »Vielleicht kann ich dir irgendwann mal aus der Klemme helfen«, sagte Duane und fügte hinzu, es tue ihm ehrlich leid, ihn scheiden zu sehen. Und dann wurde Jurgis wieder zu Callahans Gericht gefahren.
    Als er den Saal betrat, sah er gleich als erstes Teta Elzbieta und die kleine Kotrina, die blaß und verängstigt in einer der hintersten Reihen saßen. Das Herz klopfte ihm wild, doch er wagte nicht, ihnen Zeichen zu geben, und Elzbieta ging es genauso. Er nahm seinen Platz auf der Wartebank für die Angeklagten ein und schaute in hilfloser Qual zu den beiden hinüber. Ona war nicht mitgekommen, und er machte sich Gedanken, ob das etwas Schlimmes zu bedeuten habe. Eine halbe Stunde lang grübelte er darüber nach. Dann richtete er sich plötzlich auf, und das Blut schoß ihm in den Kopf. Ein Mann war eingetreten – Jurgis konnte zwar sein Gesicht nicht erkennen, denn es war von einem Verband verhüllt, aber die ungeschlachte Gestalt, die kannte er. Es war Connor! Ein Beben durchlief ihn, und seine Glieder strafften sich wie zum Sprung. Dann spürte er eine Hand an seinem Kragen und hörte hinter sich eine Stimme: »Hock dich wieder hin, verdammter Hund!«
    Er gehorchte, aber seine Augen ließ er keine Sekunde lang von seinem Feind. Daß der Kerl noch lebte, war eigentlich eine Enttäuschung, andererseits aber bereitete es auch Vergnügen, ihn mit einem so dicken Verband zu sehen. Connor und der Anwalt von Brown nahmen vorn innerhalb der Schranken Platz, und kurz danach rief der Gerichtsschreiber Jurgis auf. Der Polizist riß ihn hoch und führte ihn nach vorn, wobei er ihn mit

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