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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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inzwischen losgeworden ...«
    Jurgis taumelte und stieß einen keuchenden Laut aus. »Sic wollte da wieder anfangen?« schrie er mit sich überschlagender Stimme.
    »Sie hat’s zumindest versucht«, sagte Stanislovas und sah ihn erstaunt an. »Warum denn nicht, Jurgis?«
    Jurgis holte ein paarmal tief Luft. »Erzähl weiter«, stöhnte er schließlich.
    »Ich bin mitgegangen«, sagte Stanislovas. »Miss Henderson wollte sie jedoch nicht mehr haben. Und Connor, als der sie sah, hat er sie wüst beschimpft. Er hatte noch immer einen Verband um – warum hast du ihn eigentlich zusammengeschlagen, Jurgis?« Der kleine Kerl wußte, daß da ein aufregendes Geheimnis hintersteckte, hatte aber noch nichts Näheres herausbekommen können.
    Jurgis war unfähig zu sprechen, konnte nur vor sich hinstarren mit fast aus den Höhlen tretenden Augen.
    »Sie ist auch nach anderer Arbeit rumgelaufen«, fuhr der Junge fort, »aber sie hat nicht genug Kraft, das durchzuhalten. Und mich hat mein Aufseher auch nicht wieder genommen. Ona sagt, er kennt Connor, und das wär der Grund; sie hätten jetzt alle einen Roches auf uns. Und nun muß ich ebenfalls in die Stadt und Zeitungen verkaufen so wie die beiden andern und Kotrina ...«
    »Kotrina?«
    »Ja, die jetzt auch. Sie wird am meisten los, weil sie ein Mädchen ist. Wenn bloß die Kälte nicht wäre – dabei abends nach Hause zu gehen ist furchtbar. Jurgis. Manchmal schaffen sie es überhaupt nicht. Ich will sehen, daß ich sie heute abend finde, und dann auch da schlafe, wo sie schlafen, denn es ist schon spät und so weit nach Hause. Ich bin zu Fuß her und wußte nicht, wo das hier ist, und den Rückweg weiß ich auch nicht. Aber Mutter hat gesagt, ich muß her, weil du sicher wissen willst, wie es uns geht, und weil’s ja sein könnte, daß sie deiner Familie helfen, wenn sie dich eingesperrt haben, so daß du nicht arbeiten kannst. Ich bin den ganzen Tag gelaufen, um herzukommen – hab seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und da auch bloß ein Stück trocken Brot. Mutter hat ebenfalls keine Arbeit mehr, denn die Wurstabteilung ist stillgelegt worden; sie geht jetzt mit einem Korb die Häuser ab und bettelt, und die Leute geben ihr Essen. Aber gestern hat sie nicht viel gekriegt; die Finger haben ihr so gefroren, und heute hat sie geweint ...«
    So fuhr Stanislovas fort, und mußte dabei immer wieder schluchzen. Jurgis stand da, die Hände um die Tischkante geklammert, und sagte kein Wort, aber er hatte das Gefühl, als berste ihm der Schädel, als lade man Gewichte auf ihn, eines immer schwerer als das andere, bis sie ihn allmählich erdrückten. Er rang und kämpfte innerlich – wie in Todesangst während eines grauenhaften Alptraums, wenn man weder die Hand heben noch schreien kann und nur spürt, daß man wahnsinnig wird ...
    Gerade als er dachte, eine weitere Drehung der Schraube würde ihn umbringen, hörte Stanislovas auf. »Du kannst uns also nicht helfen?« fragte er tonlos.
    Jurgis schüttelte den Kopf.
    »Zahlen sie dir hier überhaupt nichts?«
    Er schüttelte abermals den Kopf.
    »Wann kommst du denn raus?«
    »In nicht ganz drei Wochen.«
    Der Junge sah sich unsicher um. »Dann kann ich ja wieder gehen«, sagte er.
    Jurgis nickte. Plötzlich erinnerte er sich, steckte die Hand in die Tasche und zog sie zitternd wieder heraus. »Hier«, sagte er und hielt ihm die vierzehn Cent hin, »nimm ihnen das mit.«
    Stanislovas steckte das Geld ein, und nachdem er erst noch etwas gezaudert hatte, wandte er sich zur Tür. »Leb wohl«, sagte er, und Jurgis sah, wie schwach ihm beim Gehen die Knie waren, ehe er seinen Blicken entschwand.
    Eine Minute lang stand Jurgis da und mußte sich am Stuhl festhalten. Dann tippte der Wärter ihm auf den Arm, und er ging zurück zum Steineklopfen.

18
    Jurgis kam nicht gleich zu dem von ihm erwarteten Termin aus dem Bridewell heraus. Zu seiner Strafe gehörten ja noch eineinhalb Dollar »Gerichtskosten« – man ließ sich die Mühe einer Verurteilung bezahlen –, und da er dieses Geld nicht hatte, mußte er es durch drei weitere Tage Steineklopfen abarbeiten. Niemand hatte es für nötig befunden, ihm das vorher zu sagen, und als die ungeduldig ersehnte Stunde heran war, da er seiner Rechnung nach entlasssen werden mußte, wurde er dennoch wieder zum Arbeiten geführt und obendrein ausgelacht, als er Einspruch zu erheben wagte. Er schloß daraus, daß er sich wohl verzählt habe, doch als ein weiterer Tag verging, ließ er alle

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