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Der Dschungel

Der Dschungel

Titel: Der Dschungel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Upton Sinclair
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Jurgis gut Freund; man merkte, er war ein Mann von Welt, gewohnt, überall zurechtzukommen, und nicht zu stolz, sich mit einem einfachen Arbeiter zu unterhalten. Er fragte Jurgis aus und erfuhr alles über sein Leben – alles bis auf jenes eine, über das zu sprechen Jurgis unmöglich war –, und dann gab er einiges aus seinem eigenen Leben zum besten. Er konnte großartig erzählen, auch wenn seine Geschichten nicht immer ganz stubenrein waren. Daß er ins Gefängnis gesteckt worden war, tat seinem heiteren Gemüt offenbar keinen Abbruch; er hatte anscheinend schon zweimal »gebrummt« und nahm das alles mit gelassenem Humor hin: Der Wein, die Weiber und dazu die nervliche Anspannung in seinem Beruf – da tue ein bißchen Ruhe mal ganz gut.
     
    Dadurch, daß er nun einen Zellengenossen hatte, sah das Gefängnisleben für Jurgis jetzt natürlich anders aus. Er konnte nicht mehr einfach das Gesicht zur Wand kehren und Trübsal blasen, sondern mußte antworten, wenn er angesprochen wurde. Und er konnte auch gar nicht anders, als das Gespräch mit Duane – dem ersten gebildeten Menschen, mit dem er sich je unterhalten hatte – interessant zu finden. Wie hätte er nicht staunend zuhören sollen, wenn der andere von mitternächtlichen Abenteuern und gefährlichen Fluchten erzählte, von großartigen Gelagen und Orgien, von Vermögen, die sie in einer einzigen Nacht verjubelt hatten! Der junge Mann empfand für Jurgis, in dem er eine Art Ackergaul sah, amüsierte Geringschätzung; auch er war von der Welt ungerecht behandelt worden, aber anstatt das geduldig hinzunehmen, schlug er zurück, und das nicht zu sanft. Er war immer im Kampf – befand sich im Kriegszustand mit der Gesellschaft. Ohne Furcht und Scham lebte er als fröhlicher Freibeuter auf Kosten seines Feindes. Nicht immer war er siegreich, aber eine Schlappe bedeutete ja nicht gleich das Ende; kein Grund also, deswegen allen Mut zu verlieren.
    Außerdem war er ein gutmütiger Bursche – viel zu gutmütig, wie sich später noch zeigen sollte. Jurgis erfuhr seine Lebensgeschichte nicht gleich am ersten Tag, auch nicht am zweiten, sondern in den langen, sich dahinschleppenden Stunden, in denen sie nichts weiter tun konnten als reden, und das auch nur von sich selbst. Jack Duane stammte aus dem Osten; er hatte ein College besucht und Elektrotechnik studiert. Dann war seinem Vater geschäftlich alles schiefgegangen, und er hatte sich das Leben genommen; zurückgeblieben waren die Mutter und zwei jüngere Geschwister. Es gab da auch noch eine Erfindung, die Duane gemacht hatte; Jurgis verstand zwar nichts davon, aber es hatte mit Telegraphie zu tun und war etwas sehr Wichtiges – womit sich ein Vermögen machen ließ, Millionen und aber Millionen. Und Duane war von einer großen Firma darum betrogen worden, hatte Prozesse geführt und dabei all sein Geld verloren. Dann war ihm von jemandem ein Tip für ein Pferderennen gegeben worden, und er hatte versucht, sich sein Vermögen mit dem Geld eines anderen zurückzuholen, dabei aber Pech gehabt und schließlich untertauchen müssen. Und so war dann alles weitere von selbst gekommen. Jurgis fragte ihn, wie er aufs Geldschrankknacken verfallen sei – worunter er sich etwas ganz Abenteuerliches und Furchteinflößendes vorstellte. Er habe da wen kennengelernt, antwortete Duane, und eines führe zum andern. Ob er sich denn gar keine Gedanken um seine Familie mache, erkundigte sich Jurgis. Manchmal schon, erwiderte der andere, aber meist verdränge er das. Durch Grübeln würde es ja nicht besser. Kein Mann sollte sich mit einer Familie belasten; eines Tages werde auch Jurgis das einsehen und den Kampf aufgeben und nur noch an sich selber denken.
    Jurgis war so offenkundig genau das, wofür er sich gab, daß sein Zellengenosse keine Bedenken hatte und zu ihm so offen war wie zu einem Kind; es machte Spaß, ihm Abenteuer zu erzählen, denn er war so voller Staunen und Bewunderung, hatte so gar keine Ahnung, wie es hier im Lande zuging. Duane gab sich nicht einmal die Mühe, Namen und Orte zu verschweigen – er berichtete von all seinen Erfolgen und Fehlschlägen, von seinen Freuden und Leiden. Er machte Jurgis auch mit vielen anderen Gefangenen bekannt, denn gut die Hälfte hier kannte er von früher. Jurgis hatte bei ihnen bereits einen Spitznamen: Sie nannten ihn »Stinker«. Das war hart, aber sie meinten es nicht böse, und er nahm es mit gutmütigem Grinsen hin.
    Unser Freund war von der Kloake, über der er

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