Der Dschunken Doktor
sie: Wer will, daß Dr. Mei nicht mehr die Pauken schlägt? Kein Finger wird sich heben! Aber frag mal: Wer ist durch die Pauken schon gesund geworden? Die Arme werden hochfliegen! So ist das!«
Dr. Mei griff zum Mittel der Demonstration. Er ließ die Pauken an Deck tragen, und während die Innenarbeiten an den neuen Deckaufbauten weitergingen und Dr. Merker unten noch Sprechstunde hielt, legte Mei auf den Plattenspieler eine Tschaikowski-Sinfonie auf, drehte die Lautsprecher voll auf und hieb auf seine Pauken, daß ihm der Schweiß von der Stirn über das Gesicht floß. Die wartenden Patienten saßen in einem Kreis um ihn herum auf Deck und bewunderten ihn. Nach jedem Satz applaudierten sie heftig.
Hör dir das an, du großer Arzt Wei Kang-teh, dachte Dr. Mei. Nicht nur Pillen und Spritzen helfen … auch das Herz und die Freude heilen! Ein fröhlicher Kranker ist nur noch ein halber Kranker … das müßt ihr jungen Superhirne noch lernen! Und ihr müßt lernen, daß die Seele wichtiger ist als der Körper!
Dr. Merker kam an Deck, nachdem der letzte Kranke an diesem Tag untersucht worden war. Er hatte feste Zeiten eingeführt. Am Spätnachmittag kümmerte er sich um die kritischeren Fälle. Die Patienten wurden von ihren Verwandten oder Nachbarn auf Tragen an Bord gebracht. Später, wenn der Betrieb halbwegs normal lief, wollte Dr. Merker auch die Krankenbesuche auf den Dschunken einführen, getreu dem Muster eines deutschen Landarztes. Mei hielt das für Idiotie. »Wenn du zu den Kranken gehst, hast du gar keine Ruhe mehr. Laß sie wie bisher zu dir kommen, dann sind nur die an Deck, die wirklich einen Arzt brauchen … oder sie fliegen über Bord! Aber wenn du kommst, dann rufen sie dich später auch schon, wenn sie nur einen festsitzenden Furz haben! Fritz, du bist bald der mächtigste Mann in der Dschunkenstadt, und mächtige Männer kommen nicht in die Hütten! Nicht in China. Vergiß, was du in Europa gelernt hast. Du bist Wei Kang-teh, sonst nichts mehr!«
Dr. Mei saß hinter seinen Pauken, schweißgebadet, aber glücklich. Tschaikowski nahm ihn immer sehr mit, nicht wegen der vielen Paukeneinsätze, sondern weil ihm die Musik ans Herz griff.
»Ich müßte öffentliche Konzerte geben«, sagte Mei, als er Merker kommen sah.
»Mit der Schallplatte?«
»Man hat schon andere Kuriositäten teuer verkauft! Wenn eine mit Fett beschmierte alte Kinderbadewanne 100.000 Dollar kosten soll, dann kann ich meine Paukensoli auch an den Mann bringen. Fritz, wir brauchen das Geld … wir sind pleite!« Mei legte die Paukenschlegel zur Seite. »Was die Kranken bringen, sind kleine Beträge. Sie alle sind ja arm, abgesehen von ein paar Großschiebern und Halunken. Das Geld reicht gerade für den Bau. Woher wir die Einrichtung nehmen sollen, ist mir ein Rätsel. Die Betten, die Bettwäsche, die Stühle und Nachttische, die Schränke, die Waschbecken, die Badewannen, die Duschen … ich habe die Liste hier. Mir wird schwindlig! Und das alles ist nur unter Deck. Wo willst du das Geld herkriegen für die Einrichtung des neuen Untersuchungstraktes? Ich habe es ausgerechnet, Fritz: Wir brauchen für das Allernötigste runde 150.000 Dollar! Bis zum Jahre 2000 bringen das unsere Patienten nicht auf!«
»Ich habe darüber bereits mit Yang gesprochen.« Dr. Merker setzte sich vor die Pauken auf eine Gemüsekiste. »Yang will helfen.«
»Wir können das Mädchen nicht auch noch pleite machen. Es genügt, wenn wir zwei bis zum Kinn im Wasser stehen!«
»Sie sagt, sie könne das Geld beschaffen.«
»Ohne im ›Drachen von Canton‹ aufzutreten? Ohne Gastspiele? Und ohne die Gefahr, doch noch erschossen zu werden?«
»Ich habe da einen anderen Gedanken, über den ich noch nicht gesprochen habe: Ich kann zu James McLindlay gehen und ihn um 200.000 Dollar anpumpen. Für James sind 200.000 Dollar eine Lappalie, er merkt sie auf seinen Konten gar nicht.«
»Das ist schlecht«, sagte Mei nachdenklich.
»Warum?«
»Bei McLindlay wurde auf Yang geschossen.«
»Weil es eine gute Gelegenheit war. McLindlay hat doch damit nichts zu tun. Mit ihm kann man reden, er betrachtet sich als meinen Freund.«
»Mir gefällt das nicht.« Dr. Mei blickte über das trübe, ölige Wasser der Dschunkenstadt. »Ich habe keine Erklärung dafür … ich fühle es nur. In mir sträubt sich etwas.«
»Du kennst James nicht.«
»Nein. Aber ich habe genug gehört. Der gesamte Seidenexport läuft über ihn! Wie auch die Firmen heißen, in allen sitzt
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