Der Dschunken Doktor
fast umgeworfen. Wie anders Frauen doch einen Mann sehen als Männer …«
»Sie sind ein Giftprotz, Ting!« sagte Merker erregt. Was Ting da erzählte, ließ wirklich sein Herz schwer werden und seinen Pulsschlag steigen. »Sie bringen mich in größte Verlegenheit.«
»Wieso?«
»Was soll ich Yang sagen? Ich muß doch einen Grund angeben, warum ich sie sprechen will.«
»Sie ist eine Frau, Sie sind ein Mann … ist das nicht Grund genug?«
»So plump können auch nur Sie sein!«
»Zermartern Sie sich nicht deswegen den klugen Kopf.« Ting lachte verhalten. »So etwas läuft nachher von ganz allein. Sind Sie ein so blutiger Anfänger, Flitz?«
»Beileibe nicht … aber ich habe noch nie einer Frau wie Yang gegenübergestanden.«
»Da kann auch die Polizei nicht mehr helfen. Also, morgen gegen 21 Uhr …«
»Ich werde meinen neuen Anzug anziehen!« sagte Merker jungenhaft fröhlich.
»Was haben Sie? Einen neuen Anzug?« Tings Stimme wurde lauter.
»Ein superelegantes Ding! Grau-weiß gestreift, federleichte Mohairwolle mit Seide … sitzt wie übergegossen …«
»Wo haben Sie den Wunderanzug gekauft?«
»Er ist – wie man so schön sagt – ›gebaut‹ worden!«
»Von einem chinesischen Schneider?«
»Natürlich.«
»Der Schneider war Ihnen bekannt?«
»Nein. Betty Harpers schickte ihn mir. Ich hatte doch keinen Smoking … und da hat der Schneider – geschäftstüchtig wie alle Chinesen – gleich eine Stoffkollektion für einen Straßenanzug mitgebracht.«
»Wo haben Sie den Anzug schon getragen, Flitz?«
»Noch gar nicht. Bei Yang soll Premiere sein.«
»Haben Sie heute Zeit?«
»Am Nachmittag.«
»Dann packen Sie den neuen Anzug und den Smoking in eine Plastiktüte, und kommen Sie zu mir ins Hauptquartier. Und sprechen Sie kein Wort in Gegenwart von Smoking und Anzug, auch bei mir nicht! Keinen Ton. Und noch etwas … legen Sie in die Plastiktüte einen kleinen Radiorecorder und stellen Sie ihn an. Am besten Jazzmusik. Auf eine schöne Lautstärke, die alle anderen Geräusche überdeckt …«
»Sind Sie übergeschnappt, Ting?« Dr. Merker war völlig irritiert. »Ich soll meine neue Garderobe mit Musik beschallen und zu Ihnen bringen? Was soll das?«
»Das werde ich Ihnen zeigen, Sie Engel!« sagte Ting eindringlich. »Ich kann mich natürlich irren … Bis nachher!«
Dr. Merker legte nachdenklich den Hörer auf. Dann fuhr er mit dem Lift hinauf in sein Zimmer, öffnete den Schrank und betrachtete stumm den über einem Bügel hängenden Smoking und den eleganten Anzug. Tings Rat folgend, stellte er sein Radio auf höchste Lautstärke und tastete dann vorsichtig zuerst das Anzugjackett ab. Seine als Arzt auf feinsten Tastsinn geschulten Fingerspitzen glitten über die Nähte, über die Taschen, die Revers, den Kragen … auf der linken Seite meinte er, eine kleine Erhebung innerhalb der Polsterung zu fühlen.
Mit einem Skalpell trennte er vorsichtig, als gälte es, einen Nerv zu präparieren, den Kragen auf und stieß auf einen winzigen Metallknopf, so groß wie ein gläserner Stecknadelkopf. Ein hauchdünnes Drähtchen, dünner als ein Haar, verband den Knopf mit einem anderen, etwas größeren, runden Element, das weiter hinten im Kragenfutter steckte.
Auch als elektronischer Laie wußte Dr. Merker, daß er hier einen Sender mit Batterie vor sich hatte … ein hochempfindliches Mikrofon, das alles aufnahm und wegsendete, was er tat und sagte, wenn er diesen Anzug trug.
Merker rührte den Smoking nicht an, ließ den zerschlitzten Anzug hängen, stellte das Radio aus und setzte sich weit weg vom Schrank an das Fenster. Die Entdeckung hatte ihn maßlos erschüttert. Vor allem drängte sich eine Frage auf: Hatte Betty gewußt, daß man ihm Mikrofone in die Anzüge baute, als sie den Schneider zu ihm schickte? Wo waren noch mehr Mikrofone versteckt? Wurde jede Sekunde von ihm überwacht und abgehört?
Er dachte an die versprochene Begegnung mit Yang Lan-hua, bei der er mit Sicherheit den neuen Anzug getragen hätte. Jedes Wort wäre aufgezeichnet worden. Dieser Gedanke beunruhigte ihn und machte ihn abwehrbereit zugleich: Schon jetzt konnte er vollkommen in der Hand des unbekannten Gegners sein. Kein Atemzug gehörte mehr ihm allein …
5
Man sollte in jeder noch so unangenehmen Situation eine Spur von Humor bewahren – und wenn es Galgenhumor ist. Dann läßt sich alles leichter ertragen. Das ist leicht gesagt, aber schwer getan. Vor allem ist es eine Nervensache.
Wie Ting
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