Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Stück entgegenzukommen? Wahrscheinlich lauern sie dort unten bereits auf uns.«
»Die Schlucht ist eure einzige Perspektive«, grollte Othman. »Ich habe es euch schon mehrfach in den letzten Tagen erklärt: Die drei Zwerge waren weder Untote noch die Vorhut einer riesigen Armee von Wiedergängern. Ihr bildet euch das alles nur ein. Wahrscheinlich waren sie verletzt, unterkühlt und vom Marsch durch den Wald einfach nur dreckig. In solch einer Krisensituation wie die, in der ihr wart, spielen einem die Sinne schnell mal einen Streich. Die wirkliche Gefahr lauert dort draußen zwischen den Bäumen in Gestalt von Grünblutern. Trolle, Orks und Goblins treiben sich zuhauf im Düsterkrallenwald herum und stellen jedem nach, dernicht so ist wie sie. Sie sind in Scharen gekommen, um über die zivilisierten Völker herzufallen. Wenn ihr euch nicht vor ihnen versteckt, werden sie euch alle töten.«
Die Bürger Eichenblattstadts waren beunruhigt, aber nicht überzeugt, und auch Rubinia hegte ihre Zweifel am Plan des Magiers. Doch sie vertraute Othman. Er kannte sich hier besser aus als jeder andere, und wenn er sagte, dass die eigentliche Gefahr von den Grünblutern ausging, war es mit Sicherheit so. Dennoch musste sie ihm innerlich widersprechen. Sie hatte die Zwerge gesehen. Sie war nur einen Schritt von ihnen entfernt gewesen. Diese Bärtigen waren untot gewesen. Was auch immer sie dazu gemacht hatte, es war noch hier, das spürte sie.
»Wäre es nicht besser, wir würden versuchen, nach Zargenfels zu kommen?« Diesmal war es Mira Butterblums, die die Frage stellte. »Der Waldrand im Norden ist nicht weit entfernt. Von dort aus könnten wir westlich am Rand der Berge entlang und dann nach Süden.«
»Selbst wenn ihr es aus dem Wald herausschafft, was ich nicht glaube, lauft ihr wahrscheinlich zwischen die Fronten der Zwerge und der Orks. So wie ich die Grünbluter kenne, werden sie zuerst die Bärtigen angreifen, um die Überraschung auszunutzen. Was macht ihr dann? Sie höflich darum bitten, euch durchzulassen? Vergesst es! Sie würden euch dahinschlachten wie Vieh.«
Die Halblinge beratschlagten sich. So etwas taten sie sonst nur, wenn sie nicht mehr weiterwussten. Die Ratsmitglieder des Dorfes waren tot, die meisten Familien trauerten um Angehörige, und jetzt sollten sie gezwungen sein, ihre Häuser zu verlassen und sich in einer Schlucht zu verstecken, in die noch nicht einmal jemand zum Pilzesammeln ging? Geschichten berichteten von fürchterlichen Kreaturen, die dort unten auf jeden lauerten, der es wagte, zu ihnen hinunterzusteigen. Ausgehungerte Wolfsrudel sollten dort ihr Unwesen treiben und auf Wild warten, dass von den Hängen abrutschte und in die Tiefe stürzte.
Ein heilloses Durcheinander brach los. Jeder gab seine Meinungkund und versuchte, die Argumente der anderen zu entkräften. Je aufgebrachter, umso besser, so schien es. Die ersten kleinen Kinder begannen zu weinen, aber niemand scherte sich darum. Jeder stellte sein persönliches Anliegen über das Gemeinwohl.
»Irgendetwas geschieht in diesem Wald«, sagte Rubinia zu Othman. »So habe ich sie noch nie gesehen. Sie sind wie verblendet.«
»Sie haben Angst«, erklärte Othman. »Sie täten gut daran, zu tun, was ich ihnen rate. Ansonsten wird Eichenblattstadt bald nur noch ein Dorf voller Ruinen sein, dass sich der Wald Stück für Stück zurückholt. Nach all den Jahren trauen mir die Halblinge immer noch nicht. Es ist bitter, mit anzusehen, wie sie in ihr Verderben laufen.«
»Das werden sie nicht«, schnaubte Rubinia und schwang sich auf den Brunnenrand.
»Hört mir zu«, bat sie die aufgebrachte Menge. »Ihr wisst, ich bin schon seit einigen Jahren keine Bürgerin Eichenblattstadts mehr. Viele von euch glauben, dass ich meinen Bruder nach dem Tod von Roswita im Stich gelassen habe. Vielleicht stimmt das sogar, doch ich musste meinen eigenen Weg gehen. Meister Othman hat mich aufgenommen und in seine Dienste gestellt. In all den Jahren, die ich jetzt schon im Krähenturm als Wirtschafterin arbeite, hat Meister Othman immer versucht, den Halblingen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Erinnert euch daran, als Eichenblattstadt vom Bitterhusten heimgesucht wurde, oder als all unsere Vorgärten und Gemüsebeete vom Silbertau befallen waren. Da war es Meister Othman, der uns geholfen hat. Und im Gegensatz zu vielen anderen, die behaupten, sie seien die Freunde der Halblinge, hat er nichts dafür verlangt. Er tat es, weil er ein guter Mensch
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