Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
wackliger Brettersteg führte quer durch die natürliche Höhle. Am Ende des Steges hatten die Zwerge ein Gerüst aus Balken errichtet, das eine Kohleschale von zehn Fuß Durchmesser trug.
»Sag mir, dass es nicht das ist, was ich denke«, flüsterte Tislo seinem Bruder ins Ohr, als er ihn eingeholt hatte.
»Doch, das ist es, und darum bist du besser leise.«
»Lass uns so schnell wie möglich weg von hier«, bat Tislo.
Nelf deutete auf eine Stelle über der Kohleschale an der Decke der Kammer.
»Siehst du die gebrannte Tonscheibe dort, am Ende des Trichters?«
Tislo nickte nur. Er traute sich nicht, noch einen weiteren Mucks von sich zu geben.
»Wenn das Wasser aus dem Kessel verdampft ist, wird der Kessel im Sternraum hochsteigen. Die Ketten, die sich quer durchdas Erdreich über uns ziehen und in jeder der Kammern enden, verbinden alles miteinander. Diese Ketten werden dann mit Hilfe der Gegengewichte an ihrem Ende den Tondeckel dort zur Seite ziehen, und der Tunnel ist nach oben hin frei. Allerdings befindet sich in diesem Fall darunter eine schwelende Esse, die nur darauf wartet, von einem Lufthauch entfacht zu werden. Das heißt, wir müssen schnell genug sei, um durch das Loch zu entkommen.«
Tislo starrte immer noch ungläubig auf den regungslos dastehenden Sumpfzauter.
»Komm schon«, drängelt Nelf, »wir müssen dort zum Schacht. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit.«
Tislo reagierte erst, als Nelf an seiner Jacke zupfte.
»Es war dein Plan, zu flüchten«, erinnerte Nelf ihn. »Nun lass mich nicht hängen.« Als er den ersten Fuß auf den Brettersteg setzte, fasste er Tislos Hand. »Tritt nicht ins Wasser, versteinerte Halblingsfüße sind schwerer als alle anderen.«
Nelf lächelte. Es sollte seinem Bruder eigentlich Zuversicht signalisieren, doch es zeigte keine Wirkung.
Mit weit ausgebreiteten Armen balancierten die beiden über den Steg. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie das sichere Gerüst erreicht hatten. Am liebsten hätte Nelf vor Erleichterung laut losgelacht, als er die dicken Stämme umklammerte, doch die Gefahr durch den Sumpfzauter war allgegenwärtig.
Nelf hatte gerade die erste Strebe erklommen, da zog die Kette die Tonscheibe zur Seite. Lose Grassoden fielen von oben herab, und Tageslicht brach in die Höhle. Im selben Moment entstand ein Sog, und ein gewaltiger Luftstrom schoss durch den Schacht nach oben. Nelfs Jacke flatterte über seinen Kopf und versperrte ihm die Sicht. Wären die Ärmel weiter gewesen, hätte es ihm das Kleidungsstück vom Körper gerissen.
Der Sturm war ohrenbetäubend. Nelf blickte hinunter zu seinem Bruder, dann zum Sumpfzauter. Das Wesen stand immer noch unbeweglich bis zur Hüfte im Wasser. Das Fell wehte gegen den Strich und zeigte die fahle weiße Haut darunter.
»Beeil dich!«, schrie Nelf Tislo an. »Irgendwann wird dem Vieh der Hintern kalt, und es wird wissen wollen, warum. Dann sollten wir besser hier heraus sein.«
Die beiden Halblinge stiegen in dem Trichter nach oben. Das Wurzelgeflecht, das den Torf der Schachtwand durchzog, bot eine gute Kletterhilfe. Im Nu hatten sie die Grasnarbe erreicht und bahnten sich ihren Weg an die Oberfläche. Nelf krabbelte zuerst ans Tageslicht wie ein frisch geschlüpfter Käfer. Er reichte seinem Bruder die Hand und half ihm, aus dem Loch zu kriechen. Sie befanden sich mitten in einem Wald. Riesige Bäume ragten über ihnen auf, trotz des dichten Blätterdaches war es taghell und freundlich. Die Freude über die neu gewonnene Freiheit war stärker als ihre Erschöpfung. Lachend fiel Nelf seinem Bruder in die Arme. Gegenseitig klopften sie sich gratulierend auf den Rücken, bis Tislos Beine plötzlich versagten. Nelf hatte alle Mühe, seinen Bruder zu halten. Dann glitt er ihm aus den Fingern und stürzte zu Boden. In Tislos Rücken steckten drei Pfeile. Das bunte Gefieder am Ende der Schäfte flatterte im Wind, der aus dem Schacht zog.
Nelf starrte nach oben in die Bäume. Hoch oben zwischen den Ästen sah er die schlanken Elfen hocken. Sie zielten mit ihren Bögen auf ihn.
»Nein!«, brüllte Nelf und brach weinend neben seinem Bruder im Gras zusammen. »Ihr habt ihn umgebracht! Er hat euch doch nichts getan. Wir wollten euch doch nur warnen.«
37. MILO
Es war, als wollte die Welt all die Übel, die auf ihr geschahen, ausspucken. Und es begann, als Dorn in den frühen Morgenstunden den letzten Stein auf Senethas Grab legte.
Die ganze Nacht über hatte der Söldner mit den bloßen Händen
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