Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
hackten die unteren Äste der Seelenbäume ab, um zu verhindern, dass die Flammen auf diese übersprangen. Alle Mühe war jedoch von wenig Erfolg gekrönt. Der glühende Torf und die tosende Luft, die aus den Löchern emporstieg, wollten sich nicht bändigen lassen.
Elfen liefen mit Bottichen zu einem nahen Fluss oder Weiher und verteilten Wasser, um der Feuer Herr zu werden. Doch sie kämpften einen aussichtslosen Kampf. Letztlich blieb ihnen nichtsanderes übrig, als die Seelenbäume zu verlassen und zu versuchen, wenigstens noch ein wenig Hab und Gut in Sicherheit zu bringen.
Milo tat die ganze Nacht über kein Auge zu. Mit der Decke vor Mund und Nase schützte er sich vor dem Rauch. Dorn hatte auf jeglichen Schutz verzichtet. Die Decke war ihm mittlerweile von den Schultern gerutscht und hatte sich an dem im Boden steckenden Schwert verfangen. Entweder machte ihm der Qualm nichts aus, oder er hatte aufgehört zu atmen. Milo fand beides gleich wahrscheinlich.
Er wollte gerade einen erneuten Versuch starten, Dorn aus seiner Lethargie zu holen, da sah er unweit des Hains eine gedrungene Gestalt zwischen den Bäumen. Sie war so auffällig und deplatziert im Elfenwald wie eine Erdbeere im Schnee. Doch im nächsten Augenblick war sie wieder verschwunden.
Milo griff nach seinem Dolch. Wenn es neuen Ärger gab, wollte er zumindest nicht vollkommen schutzlos sein. Kurz überlegte er, ob er die Elfen warnen sollte – doch wovor? Er verwarf den Gedanken und hockte sich neben Dorn.
»Du hast mich überzeugt«, flüsterte Milo ihm zu, ohne den Blick von Senethas Grab abzuwenden. »Wir werden einfach so tun, als hätten wir mit all dem hier nichts zu schaffen. Vielleicht übersehen sie uns, oder sie denken, wir sind verrückt, und verschonen uns deshalb. Mein Bruder Bonne hat das auch schon mal gemacht. Wir hatten gewettet, dass er es nicht schafft, drei Gurken aus dem Garten von Nubert Furtfuß … sagen wir mal, auszuleihen. Du musst wissen, Nubert hat so einen widerlichen Köter, der es auf uns abgesehen hat. Genauer gesagt, hat er es auf so gut wie jeden in Eichenblattstadt abgesehen, doch mich und meinen Bruder hasst er besonders. Bonne meinte jedenfalls, der Hund würde ihm nichts tun, wenn er ihn einfach ignorierte. Ich fand die Idee verrückt, war aber darauf gespannt, wie jemand aussah, der versuchte, einen Hund zu ignorieren, der einem das Bein zerfleischte. Bonne stieg also über diesen Zaun. Die Bestie kam angestürmtund sah aus, als würde sie ihm gleich an die Kehle springen. Doch Bonne starrte einfach in die Luft. Und was soll ich sagen: Die Töle kläffte, knurrte, sprang vor meinem Bruder wie wahnsinnig geworden hin und her, aber sie hat ihn nicht gebissen.«
Milo kam sich irgendwie lächerlich vor, so als ob er zu einem Stein oder Baum sprach. Dorn reagierte nicht, und wahrscheinlich hörte er ihm noch nicht einmal zu. Hatte er denn jeden Lebenswillen verloren? Wollte er hier sitzen, bis er verhungert, verdurstet, verbrannt war oder erschlagen wurde?
Milo hatte sich als Kind oft vorgestellt, wie es wohl wäre, als Ritter auf dem Schlachtfeld zu stehen. Beide Seiten standen sich gegenüber. Bogenschützen, Reiterei, Fußsoldaten, alle in Reih und Glied. Die Augen starr auf den Feind gerichtet, der sich auf der anderen Seite des Feldes aufgestellt hatte. Anspannung lag in der Luft und auf den Gesichtern. Ein kurzer Moment der Stille, dann kam das Geräusch, auf das alle gewartet hatten. Ein tiefer, dunkler, lang anhaltender Ton aus dem Signalhorn.
So waren Milos Vorstellungen vom Krieg gewesen. Dass die Kampfhandlungen auch mit einem dumpfen Schlag auf einen Lederpanzer und einem erstickenden Schrei beginnen konnten, Laute, wie sie gerade durch den dichten Nebel zu ihnen drangen, war ihm nie in den Sinn gekommen. Doch das war der Unterschied zwischen Traum und Wirklichkeit. Und noch etwas wurde ihm bewusst, und die Erkenntnis ließ seinen Kopf herumschnellen: Etwas nicht zu beachten, was einen direkt betraf, war so gut wie unmöglich.
Die gedrungene Gestalt zwischen den Bäumen, die er zuvor gesehen hatte, war ein Zwerg, und er war nicht allein. Dutzende von ihnen stürmten zwischen den Bäumen hervor und fielen, schwer gerüstet und mit Hämmern und Äxten bewaffnet, über die Elfen her. Die grimmigen Krieger der Zwerge verzichteten auf ihr übliches barbarisches Gebrüll, um die Feinde nicht vorzeitig aufzuschrecken. Nur die schweren Schritte ihrer Panzerschuhe und das metallische Klirren
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