Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Waffe des Söldners.
Er trat gegen das Heft des Kurzschwertes und drückte es so aus dem Boden. Dann stellte er sich mit dem Fuß auf die Klinge. »Lasst mich raten, unter dem Steinhaufen habt ihr einen eurer Kameraden bestattet? Scheint euch nicht viel Glück gebracht zu haben, in den Wald der Langohren zu reisen.«
Der Zwerg klemmte den Stiel der Axt zwischen die aufgehäuften Steine von Senethas Grab und drückte sie auseinander. Polternd lösten sich zwei große Brocken und rollten herunter. Zum Vorschein kam ein Stück blaue Robe und das letzte Ende des Magierstabes.
»Na, was haben wir denn da?«, gluckste der Zwerg und beugte sich vor.
In diesem Moment griff Dorn unter Milos Decke, packte seine Hand und entriss ihm den Dolch. In einer gleitenden Bewegung stemmte sich der Söldner auf ein Bein hoch und rammte dem Zwerg das Messer durch den halb geöffneten Brustharnisch direkt ins Herz.
Bevor Dorn die Klinge wieder herausziehen konnte, traf ihn der schwere Hammer des anderen Zwerges in den Magen und gleich darauf der Stiel derselben Waffe am Kopf. Dorn brach über seinem Opfer zusammen und blieb auf ihm liegen.
Milos Blick fiel auf das Kurzschwert des Söldners am Boden. Ohne zu überlegen, sprang er vor und griff danach. Doch bevorsich seine Finger um den Griff schlossen, traf ihn der schwere Panzerstiefel des Zwerges im Gesicht.
Ehe Milo von der Schwärze eingehüllt wurde, konnte er einen kurzen Blick auf seinen Angreifer erhaschen. Alles, was er sah, waren hasserfüllte, glänzende Augen.
38. RUBINIA UND ODA
»Nimm es ihnen nicht übel, Rubinia«, sagte Oda, als sie gemeinsam über einige Felsen kletterten. »Sie meinen es nicht so. Sie haben nur Angst und wissen nicht, was sie tun sollen. Es ist schlimm für sie, dass sie ihre Häuser verlassen mussten, und viele Familien hatten Tote zu beklagen. Sie können mit ihrer Trauer nirgends hin, weil es allen anderen ähnlich geht.«
Rubinia sah an den steilen Felswänden empor, die schroff und beängstigend vor ihr aufragten. Der Himmel darüber hatte fast dieselbe graue Färbung, mit dem Unterschied, dass sich darin die hellen und dunkeln Schlieren bewegten. Nach einem Augenblick überkam sie ein Schwindelgefühl.
»Der Sturm tobt immer noch dort oben«, sagte sie gedankenverloren.
»Hast du mir zugehört, Rubinia?«, fragte Oda.
»Das habe ich, aber du irrst dich. Ich nehme ihnen ihr Verhalten nicht übel. Sie behandeln mich nicht wie eine Aussätzige, weil sie Angst haben, trauern oder verzweifelt sind. Sie tun es, weil ich ihre Dorfgemeinschaft verlassen habe und weggegangen bin. Die Eichenblattstädter kommen mit allen Schwierigkeiten klar. Aber wenn du es wagen solltest, ihnen den Rücken zu kehren, dann werden sie es dir nie verzeihen. Eine schlimmere Verfehlung gibt es nicht. Für sie grenzt es an Verrat.«
»Glaube mir, ich weiß, wovon du sprichst«, erwiderte Oda.
Plötzlich wurde Rubinia bewusste, wie wenig sie von der jungen Frau wusste. Sie hatte zwei Brüder, Nelf und Tislo Kesselstolz, mit denen sie zusammen bei den Zwergen festgehalten worden war, nicht ganz zu Unrecht. Ihr gelang die Flucht, ihre Brüder blieben dort zurück. Sie kannte sich mit dem Heilen aus und konnte gut mit Schwert und Dolch umgehen. Sie war sehr hübsch anzusehen, selbst noch nach den Strapazen der letzten Zeit. Das war aber eigentlich schon alles.
»Hat es dir deine Sippe auch nie verziehen, dass du fortgegangen bist?«, fragte Rubinia.
»So kann man es auch nennen«, lachte Oda. »Ich wurde im großen Tempel von Hügelmoos zur Priesterin ausgebildet. Doch ich habe meine Sachen gepackt und bin fortgegangen. Ich wusste nicht, wohin oder was ich machen sollte. Meine Brüder haben mich überredet, mit ihnen auf Abenteuersuche zu gehen.«
»Du bist eine Klerikerin?«, fragte Rubinia erstaunt. »Warum hast du den Tempel verlassen?«
Oda sah sich um und fand einen niedrigen Felsen, auf den sie sich setzte.
»Ich wäre beinahe eine Priesterin geworden, doch ich habe den Tempel verlassen, bevor ich die Abschlusszeremonie, die Ordenstaufe, über mich ergehen ließ. Die Taufe dient dazu, offiziell in den Kreis der Kleriker aufgenommen zu werden und zu bestimmen, welchen Forschungen man während des Amtes nachgehen möchte. Solange ich denken kann, wollte ich eine Priesterin der Cephei werden. Ich war noch ein kleines Mädchen, trotzdem bin ich jeden Tag in den Tempel unseres Dorfes gelaufen, um den Geschichten unseres Meisters zu lauschen. Er erzählte mir von
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