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Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)

Titel: Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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Opfer zu suchen.
    Dorn senkte den Blick und starrte gedankenverloren auf die verwitterten Bretter, auf denen er hockte. Mehr und mehr tote Arme streckten sich durch die Gitterstäbe und versuchten, ihn zu greifen. Das wütende Knurren und Stöhnen nahm zu. Es klang wie der Wind kurz vor einem Gewitter. Der Gefängniswagen schaukelte hin und her wie zuvor auf der Fahrt quer durch den Wald, doch er bewegte sich keinen Zoll vorwärts.
    Eine innere Ruhe breitete sich in Dorn aus. Er kannte diese friedlichen Momente. Nicht von sich selbst, sondern von Kameraden, mit denen er Seite an Seite gekämpft hatte. Es war dieser Moment, in dem sich das Bewusstsein vom Körper verabschiedete. Der Geist begriff, dass das Ende gekommen war, nur der Körper kämpfte noch dagegen an. Doch es war ein aussichtsloser Kampf. Das Bewusstsein übernahm die Kontrolle des Körpers und schaltete nach und nach alles ab, bis nur noch das Herz schlug. Und dann erstarb auch das.
    Dorn bereitete sich darauf vor, dass die Untoten den Wagen umwarfen. Er würde auf die Seite rollen, faulige Arme würde nach ihm greifen und ihn in Stücke reißen. Dann würde auch sein Herz aufhören zu schlagen. Oft hatte er sich vorgestellt, wie sein Ende aussehen würde. Auf tausend verschiedene Arten hatte er seinen Tod in Gedanken durchgespielt und immer gedacht, keine Möglichkeit davon wäre ihm jetzt noch unbekannt. Doch der Tod schien immer für eine Überraschung gut zu sein.
    Etwas prallte mit Wucht gegen den Wagen. Die Räder auf der Seite hingen plötzlich in der Luft. Dorn kniff die Augen zusammen, rutschte über die dicken Holzbohlen und prallte mit der Schulter gegen die Gitter. Jeden Moment würden ihn die gierigen Arme packen und zerfleischen. Er betete zu Regor, dass er sein Ende mit Würde ertragen mochte, ohne vor Scherzen zu schreien wie ein altes Weib. Doch nichts griff nach ihm. Dann kippte der Wagen zurück und krachte auf die massiven Holzräder. Die hintere Achse brach, und das Gefährt schaukelte knarrend zwei-, dreimal hin und her. Klagendes Stöhnen, das Zerreißen von Stoff und ein ekelhaftes Schmatzen waren zu hören. Dann verstummte der Lärm, und nur weit entfernte Kampflaute drangen noch an Dorns Ohr. Kein Arm packte ihn.
    Dorn öffnete langsam die Augen. Vor ihm lag ein abgerissener Arm, der schon bis auf die Knochen verrottet war. Ein dunkler Stofffetzen klemmte zwischen Elle und Speiche. Er war kaum zu unterscheiden von den lederartigen Hautresten, die sonst von denKnochen hingen. Die zaghaften Strahlen der Morgensonne, die über die Lichtung krochen, wurden von einem dunklen Schatten überlagert. Dorn hob den Kopf. Von den Untoten, die den Wagen umringt hatten, war nicht mehr übrig als ein Haufen Gliedmaßen, der verstreut im niedergetrampelten Gras lag. Dorn hätte nicht sagen können, was zu wem gehörte. Und zwischen all den Gebeinen stand Schrak. Der Trollgeneral bebte vor Wut. Seine Augen glühten, als wenn die Sonne in seinem Rücken durch sie hindurchscheinen würde. Klebriger Geifer tropfte ihm aus dem Mund, und die langen sehnigen Muskeln zuckten unter der borkenartigen Haut.
    Schrak griff nach den Gitterstäben des Gefängniswagens und riss sie auseinander, als wären sie nichts weiter als dünne Weidenruten. Dann trat er einen Schritt zurück und stöhnte erschöpft.
    Dorn musste nicht darüber nachdenken, was er nun zu tun hatte. Es war ihm egal, ob er gegen den Troll oder die Untoten kämpfte, aber kämpfen wollte er. Jedes Ende war besser, als hilflos in einem Käfig zu hocken und sich nicht wehren zu können, während man bei lebendigem Leibe gefressen wurde. Trotzdem wollte er wissen, was ihn erwartete.
    »Warum bist du zurückgekehrt?«, fragte er Schrak, kletterte aber schon zwischen den verbogenen Stäben hindurch ins Freie.
    Dorn sah in den Augen des Trolls, dass dieser mit sich kämpfte, ruhig zu bleiben. Sein Unterkiefer bebte, und noch mehr Geifer tropfte heraus. Schrak griff hinter sich und zog eine schartige Orkklinge hervor, deren unteres Ende zu einem Sägezahnmuster geschliffen war. Er warf die Waffe Dorn zu Füßen.
    »Krieger wie du und ich sollten im Kampf sterben«, schnaubte Schrak. »Der Tod ist nichts Unbekanntes für uns, aber wir sollten ihm tapfer und aufrecht ins Auge sehen dürfen und nicht hilflos in Stücke geschlagen oder zerrissen werden, ohne ein Dutzend unserer Feinde mit ins Reich der Toten zu nehmen. Ich hoffe, du weißt die Geste zu schätzen und erinnerst dich an meine

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