Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
folgte den Anweisungen. Dorn holte zum Schlag aus und drosch auf die Eisenglieder ein. Funken sprühten, aber die Kette hielt stand.
»Verdammte Zwergenarbeit«, stöhnte Dorn, nachdem er sich die Kerben an den Kettengliedern angesehen hatte. Er holte erneut zum Schlag aus, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne.
Von Süden trat eine schlanke Gestalt auf die Lichtung. Das lange dunkle Haar hing ihr verdreckt ins Gesicht. Ihr blauer Mantel war an mehreren Stellen zerrissen und blutgetränkt, wie Dorn wusste. Die Frau stützte sich auf einen langen Stab. Ihr Gang war schlurfend und unbeholfen. Die Bewegungen einer Toten.
»Senetha«, flüsterte Dorn.
47. MILO
»Das dürft Ihr nicht tun, Meister Othman«, flehte Rubinia bereits zum zehnten Mal. »Ganz Graumark würde zerstört. Denkt doch einmal über die vielen Unschuldigen nach – Kinder, Greise, junge Frauen. Wollt Ihr das wirklich alles in Kauf nehmen, nur weil Euer Stand nicht die Anerkennung erfahren hat, die er verdient hätte? Ihr seid kein schlechter Mensch, das weiß ich genau, und wenn Ihr darüber nachdenkt, werdet Ihr erkennen, wie töricht und zugleich grausam Euer Plan ist.«
Im Gegensatz zu allen anderen Einwänden, die Rubinia bereits angebracht hatte und die von Meister Othman ignoriert worden waren, bewegte das zuletzt Gesagte den Magier nun doch zu einer Antwort. Mit einer von Zorn zerfurchten Miene sprang er auf den Käfig zu und trat mit dem Fuß dagegen. Das einst so gütige Gesicht und die immerwährend freundlich blickenden Augen waren verschwunden.
»Du kleines undankbares Miststück! Vor mehr als zehn Jahren habe ich dir ein neues Zuhause angeboten, weil deine Sippe dich verstoßen hatte. All die Jahre habe ich mich um dich gekümmert, dein ewiges Genörgel ertragen und deinen widerlichen Fraß in mich hineingestopft. Und zum Dank bezichtigst du mich jetzt, ein herzloses Ekelpaket zu sein, das nur seinen eigenen Vorteil im Sinn hat? Du traust dich sogar, mir vorzuwerfen, dass ich das alles nicht gut genug durchdacht habe. Wer bist du, dass du dir solche Worte erlaubst?«
Rubinia wollte etwas antworten, doch sie hatte mit den Tränen zu kämpfen. Milo ergriff ihre Hand und drückte sie fest.
»Lass es«, flüsterte er ihr zu. »Es hat keinen Sinn.« Dann wandte er sich Othman zu. »Wenn ihr so ein guter Mensch seid, warum habt Ihr dann Nelf ermordet?«
»Das wäre alles nicht passiert, wenn ihr eure Nasen nicht ständig in Dinge gesteckt hättet, die euch nichts angehen. Warum musstest ihr auch nach diesem Buch suchen? Ich dachte, es würde reichen, wenn ich dich und deinen Bruder in die Arme der alten Trollfrau laufen lasse, doch irgendwie seid ihr entkommen. Als ich deine Fährte dann bis zum alten Ningoth verfolgt hatte, wusste ich, dass es Ärger geben würde. Aber auch da bist du mir entkommen, dank dieser Wahrheitssucher. Es gab so viele Möglichkeiten, dich loszuwerden: der Aufstand in Zargenfels, der Golem im Haus der verbotenen Schriften, der übrigens mein großzügiges Geschenk an die Priester des Regors war. Diese vergeistigten Trottel sind nicht einmal auf die Idee gekommen, dass ich mich dort einschleichen und mit Wissen bereichern könnte. Alles, was es über die Götter zu wissen gibt, ist dort unten zu finden. Dieses Wissen brachte mich erst auf die Idee zu diesem Plan. Wie auch immer, du hättest es niemals so weit schaffen dürfen. Aber nun hast du es dir auch verdient, das Ende mit anzusehen.«
Milo konnte nicht einschätzen, ob Othman wirklich fähig war, all das zu tun, wovon er gesprochen hatte. Er war eindeutig größenwahnsinnig. Allerdings tobten Aufstände im ganzen Land, Untote sprossen wie Pilze aus dem Boden, und im Zentrum von all dem lag der Krähenturm.
»Tante Rubinia hat mit alldem nichts zu tun«, warf Milo ein. »Lasst sie gehen. Sie trifft keine Schuld an der Belagerung Eures Turms.«
Meister Othman zog verwundert die Augenbrauen hoch und schüttelte nach einem Augenblick enttäuscht den Kopf.
»Hast du mir nicht zugehört? Mir ist egal, ob jemand an irgendetwas schuld ist oder nicht. Darauf kommt es nicht mehr an. Die Belagerung durch diese unkoordinierten Grünbluter interessiert mich nicht. Warum sollte ich Rubinia freilassen? Wohin sollte sie gehen, hinaus in den Wald? Was denkst du, wie weit sie kommen würde? Wenn ich sie laufen ließe, würde sie sterben, entweder durch das Schwert eines Grünbluters oder durch die Ahnen. Dasvage Schicksal eines jeden wurde durch mich zur
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