Der Duft der grünen Papaya
ein Leid zugefügt.
Gesungen haben sie, mit Kindern getanzt, ihnen Buchstaben beigebracht.«
»Buchstaben, die schlecht für mein Volk sind, die uns kaputtmachen, die unsere Götter verscheuchen. Überall sind die Weißen und bauen ihre Häuser.«
»Du selbst bist freiwillig in eines dieser Häuser eingezogen.«
»Weil du einer von uns bist, Tristan. Dein Herz schlägt für Samoa, deine Augen blicken voller Liebe auf unsere Berge, auf unser Wasser, in unseren Himmel … Du gehörst nicht zu denen . Du verachtest sie, ihre falschen Frauen, ihre Überheblichkeit und ihre Gleichgültigkeit gegen das Schöne in unserem Land. Du verstehst uns. Ich und du, wir sind Brüder, verbunden durch die Kraft der Erde, auf der wir stehen – und durch Tuila.«
Diesen Namen aus Tupus Mund zu hören hatte Tristan beinahe gefürchtet.
»Ich bin mit dem Bruder meiner Frau verbunden«, gab er zu. »Aber niemals mit einem Mörder. Du kannst mich nicht zu deinem Komplizen machen, Tupu.«
Tupu nahm seine Tochter auf den Arm und lief mit ihr langsam auf und ab, wobei er immerzu nur sie ansah, obwohl er zu Tristan sprach.
»Du meinst, wir sind keine Komplizen? Wir sind es schon längst, Tristan, du hast es nur nicht bemerkt. Ist dir nicht klar, dass ich dir einen Gefallen getan hätte, wenn die Hütte des Missionars abgebrannt wäre, wie ich es vorhatte? Dann wäre der Eintrag über deine und Tuilas Heirat in Rauch aufgegangen, der einzige schriftliche Beweis, den sie haben – daran erkennst du übrigens, wie schädlich Buchstaben sein können! Aber so … Die Hütte steht noch, und wer weiß, in welche Hände das Buch mit den Einträgen nun fällt. Noch ist es Zeit, um den Brand zu legen. Ich bin gerne bereit …«
»Das Register habe ich bereits in Verwahrung«, fiel ihm Tristan ins Wort. »Und auf deine Behauptungen wird niemand hören, sollte es dir einfallen, deine eigene Schwester zu verraten.«
»Du würdest also deine Ehe verleugnen?«
»Wenn ich dadurch meine Frau und mein Kind vor Schaden bewahre: ja.«
Tupu grinste: »Siehst du, zu einem Lügner habe ich dich schon gemacht. Von da bis zum nächsten Schritt ist es gar nicht mehr so weit.«
Überrascht von Tupus frecher Parade, verschlug es Tristan für einen Moment die Sprache.
»Ich verlange nicht, dass du mich aktiv unterstützt«, sagte Tupu, während er weiterhin die kleine Moana im Arm wiegte und mit einem Finger liebkoste. »Wir gehen einen Handel ein. Ich verspreche dir, dass ich keinem Menschen mehr etwas zuleide tue, nur ein paar Scheunen und Gatter vielleicht, und dafür verhältst du dich weiterhin brüderlich. Damit wäre jedem von uns geholfen – vor allem Tuila und meiner Mutter. Was würden sie sich grämen, wenn mir etwas zustieße, erst recht, wenn du daran schuld wärst. Das wollen wir doch nicht, oder?«
Seine Familie ist sein letzter Trumpf, dachte Tristan, und er spielt ihn gnadenlos gegen mich aus.
»Denkst du tatsächlich, ich würde einen mehrfachen Mörder einfach so davonkommen lassen, nur um seiner Familie Kummer zu ersparen?«
»Natürlich«, sagte Tupu und setzte ein überlegenes Lächeln auf. »Es wäre ja nicht das erste Mal. Denk nur daran, wie du mich gedeckt hast, damals, nach meinem Überfall auf das Picknick. Das war ein netter Zug von dir, wirklich. Sehr brüderlich. Natürlich würden das deine Vorgesetzten ganz anders sehen. Verrat nennt man dieses Verhalten bei euch, glaube ich, und es wird bestimmt übel bestraft. Aber
das ist ja bloß dummes Geschwätz, was ich so daherrede. Jetzt, wo wir uns einig sind, wird niemand von meinen oder von deinen Vergehen erfahren.«
In aller Seelenruhe schlenderte Tupu, das Kind schaukelnd, hinaus auf die Veranda.
Dieser Teufel, dachte Tristan und umklammerte den Knauf des Degens. Einmal zustoßen – und alle Probleme wären gelöst. Er könnte behaupten, Tupu sei auf ihn losgegangen, und niemand würde es ihm ernstlich verübeln, dass er sich gewehrt habe. Oberst Rassnitz bekäme seinen Mörder, Tristan bekäme ewiges Schweigen, und schon bald wäre Tupu nur noch eine schlimme Erinnerung. Friede würde sich über den Palast an der Palauli Bay legen.
So weit hat er mich schon gebracht, dachte Tristan, dass ich anfange zu denken wie er, wie ein Verbrecher.
Doch er wehrte sich dagegen. So wenig, wie er die Morde unbestraft lassen konnte, weil ihm die Toten sonst bis ans Lebensende im Traum begegnet wären, so wenig konnte er Tupu einfach feige niederstrecken. Tristan eignete sich
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