Der Duft der grünen Papaya
Angst vor den Nachtgeistern? Die ewigen Stammeskriege früherer Tage? Die Weißen sind nicht besser als wir, auch wenn sie es glauben. Aber sie sind auch nicht schlechter, und wenn wir klug sind, übernehmen wir die Dinge, die gut an ihnen sind, und lassen die schlechten Dinge außer Acht.«
»So redest du nur, weil dein Mann zu ihnen gehört.«
»So übel kann mein Mann es nicht mit dir meinen, oder? Immerhin hat er dir und Moana das Leben gerettet.«
Ivana drehte sich um und ging.
Tristan bekam von Tuila jedes Wort des kurzen Disputs erzählt.
»Es passt ihr nicht, dass du sie gerettet hast«, schloss sie. »Oder genauer gesagt: dass du sie gerettet hast. Eigentlich kann sie dich nicht ausstehen, andererseits muss sie dir dankbar sein. Das macht sie fertig.«
»Die Frage ist«, meinte Tristan, »welches ihrer Gefühle am Ende siegen wird.«
Für den Fall, dass er Tupu verhaften ließ, war diese Frage Ivana betreffend schon entschieden. Aber wie – und das war für Tristan die weit entscheidendere Frage – würde Tuila darauf reagieren? Sie liebte Tupu, obwohl sie in den letzten Monaten nicht immer gut mit ihm ausgekommen war. Er war ihr Bruder, ein Mensch, mit dem sie als Kind gespielt hatte und später erwachsen geworden war, an den sie sich anlehnte, mit dem sie sich neckte und der ganz einfach zu ihr gehörte wie ihr linker Arm.
Genau das ließ Tristan zögern. Es wäre ihm ein Leichtes
gewesen, Tupu zu verhaften und ihm den Prozess machen zu lassen. Ja, es war geradezu seine Pflicht als Offizier, der begangene Verbrechen ohne Rücksicht auf die Person aufklären und weitere verhindern musste, und auch als Freund des alten Ordinarius, dem er seine Ehe verdankte. Jeder Rest von Verständnis oder Sympathie für den jungen Samoaner war gewichen. Tupu war ein Mörder, der höchstwahrscheinlich weitere Morde begehen würde, und an denen würde Tristan sich mitschuldig machen, wenn er nichts unternähme.
Doch er hatte Angst. Angst um Tuila und um sich selbst. Angst vor dem, was Tupus Untergang bewirken könnte.
So schob er es auf, seinen Schwager zu vernehmen, denn er redete sich ein, er müsse geschickt vorgehen und Tuila und die anderen auf eine Verhaftung Tupus vorbereiten. Als er an Löblichs Grab stand, schwor er dem Toten, er werde dessen Mörder seiner Strafe zuführen, und als er am Abend mit Tuila auf der Veranda saß, ihre Haut spürte und ihre schwarzen Augen im Licht der Öllampe glücklich glitzern sah, brachte er es nicht fertig, mit ihr über Tupu zu sprechen. Er wartete einen Tag, zwei Tage, drei Tage, vier Tage, fünf Tage, sechs Tage, und am siebten Tag war er nicht weiter als am ersten.
Die Einzige, die etwas zu ahnen schien, war Vaonila, Tupus und Tuilas Mutter. Da sie damals Tamaseu, den verletzten Polizisten, aufopferungsvoll gepflegt hatte, hielten dessen Kameraden dankbaren Kontakt zu ihr, und vermutlich hatten sie auch von der Kerze erzählt. Eines Mittags kam sie zu ihm in die Polizeistation, angeblich, weil sie zufällig in der Nähe war. Allerdings vermutete Tristan gleich, dass mehr hinter diesem Besuch steckte. Vaonila war in den Tagen zuvor häufiger als sonst in seinen »Palast« an der Palauli Bay gekommen, ohne ihn jedoch anzutreffen. Sie war von einer Aura unterschwelliger Nervosität umgeben und
sah aus, als trüge sie eine Last mit sich herum, die Last einer schlimmen Vorahnung. Er ging mit ihr auf den Steg, wo das Polizeiboot lag und sie unter sich waren. Nach einer Weile, in der sie über belanglose Dinge sprachen, fragte sie: »Weißt du schon Näheres über die Morde?«
Die Hände in den Hosentaschen, antwortete er: »Ich – bin auf einer Spur.«
Sie schluckte. »Man spricht von einer Kerze, mit der der Mörder gebrandmarkt wurde.« Und indem sie ihren Blick mit Tristans verschmolz, fügte sie hinzu: »Man spricht von der Tat eines Wahnsinnigen.«
»Ich weiß nicht, ob er wahnsinnig ist, Vaonila. Vielleicht ist jeder Mörder wahnsinnig.«
Tränen traten in ihre Augen. »Was geschieht, wenn man ihn fasst?«
Tristan atmete tief durch und blickte auf seine Stiefelspitzen. »Es besteht keine Hoffnung, dass man einen solchen Mann mit Arbeitslager oder dergleichen bestraft.«
»Das heißt?«
»Das heißt: Tod.«
Er spürte, wie sie sich zusammennahm, um nicht umzuknicken wie ein Halm im Sturm. »Wenn ich die Mutter eines Mörders wäre«, sagte sie, »würde ich mit ihm reden und ihn dazu bringen, dass er seine Verbrechen irgendwie wieder gutmacht. Wem ist
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