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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Gemeinsame Herkunft und alte Traditionen machten ihn zu einem Außenseiter, mochte er dieses Land auch noch so sehr lieben, mochte er auch der Ehemann, Schwiegersohn und Schwager sein.
    Zu den anderen gehörte er jedoch auch nicht, zu den Hanssens und Hufnagels und den Offizieren vom Schlage eines Rassnitz. Irgendwie, so glaubte er mittlerweile, gehörte er zu niemandem.
    Nachdem Tupu und Ivana gegangen waren, saß er noch mit Tuila auf den Matten und hörte in das Rauschen des Waldes, das wie ein schwerer Regenschauer über der Insel lag. Tristan streichelte ihren Bauch und legte sein Ohr darauf. Er lächelte.
    Doch dann erstarb dieses Lächeln. »Angenommen«, sagte
er, ohne das geplant zu haben, »ich müsste für zwei Jahre fort, vielleicht noch mehr, und das schon bald.«
    »Fort?«, fragte sie erschreckt. »Wohin? Und warum?«
    Er zögerte noch, ihr die Wahrheit zu sagen, und wich aus. »Mein Vater … Es geht ihm sehr schlecht.«
    »Ich komme mit dir«, sagte sie sofort.
    Er seufzte. »Ich weiß, Vögelchen, du würdest mir ohne Bedenken folgen, wohin ich auch ginge. Aber du musst auch an dich denken.«
    »Ebendeshalb will ich ja bei dir bleiben. Weil es gut für mich ist.«
    »Das glaubst du jetzt, in diesem Augenblick, auf der Veranda mit Blick zur Bucht, zwischen allem, was du kennst und liebst. Im Reich würde deine Euphorie schnell verfliegen.«
    »Nein«, sagte sie trotzig. »Niemals.«
    Er wusste es besser. Das Schloss war zehnmal so groß wie dieses Haus, ringsherum Felder und baumlose Wiesen, die im Frühling und Herbst von Nebel bedeckt und im Winter gefroren waren, so dass das Eis unter den Schuhen knirschte. Tuila würde die Wärme vermissen, den lauen Regen, das Rauschen des Tropenwaldes, alles das, was sie jetzt gerade um sich hatte. Doch das wäre noch nicht das Schlimmste. Die Menschen würden sie nicht gut behandeln. Hier auf Samoa mussten sich die Deutschen wenigstens einigermaßen zusammenreißen, weil der Gouverneur es so wollte und sie eine winzige Minderheit waren. Aber dort wäre Tuila die Minderheit, und das ließen sie sie gewiss stärker spüren, als sie sich vorstellen konnte. Die Gräfin, weniger voreingenommen als andere, würde es gut meinen und Tuila in die Gesellschaft einführen. Zischeln würden die Leute über eine Braunhäutige, nichts würde Tuila ihnen recht machen können. Sie durfte dort nicht sagen, was sie wollte, nicht anziehen, was sie wollte, nicht
ausziehen, was sie wollte. Die Augen der Menschen würden ihren Stolz verletzen, die bösen Zungen sie beleidigen, die Hände sie nicht anfassen, so als hätte sie eine ansteckende Krankheit. Schon bald würde sie sich im Schloss und in ihrem Zimmer verkriechen. Sie würde verkümmern wie eine sonnenverwöhnte Orchidee, die man in der Kälte ausgesetzt hatte.
    Und er würde ihr nicht helfen können. Nicht von seiner Arrestzelle aus. Das durfte nicht passieren.
    »Es steht noch nichts fest«, beschwichtigte er ihre Aufregung und umfasste ihren Körper.
    Einiges stand sehr wohl fest. Seine Ehe zum Beispiel. Er konnte nicht mehr ohne Tuila leben, und vor allem, er sah auch keine Notwendigkeit dazu. Wie Dr. Schultz selbst gesagt hatte, würde ihn der Verstoß gegen die Mischehe sein Offizierspatent kosten, dem er leicht zuvorkommen konnte, indem er von sich aus den Dienst quittierte. Das würde dem Grafen nicht gefallen, wäre aber allemal besser als eine unehrenhafte Entlassung. Bliebe also nur noch das Problem mit Tupu.
    Tristan verbrachte eine schlaflose Nacht. In breiten Bahnen fiel das Mondlicht bis ans Fußende des Bettes, und ein Vogel ließ unaufhörlich seinen heiser krächzenden Ruf ertönen.
    Zwei Jahre, überlegte er, vielleicht drei fort von Tuila, das war eine lange Zeit, jedoch keine Ewigkeit. Er wäre zurück, bevor sein Kind die Umwelt richtig wahrnehmen konnte. Frei von allen Nöten und Zwängen würde er ein Leben mit Tuila beginnen können, wenn nicht hier, so auf den britischen Fiji-Inseln oder in Französisch-Tahiti, an einem pastellfarbenen Ort umgeben von Meer.
    Doch da waren diese Stimmen: Da war der Gedanke an seinen Vater, den Tristans Schande umbringen würde, und an das Unglück seiner Mutter, die in Arnsberg mit der
Missachtung ihrer Umwelt würde leben müssen. Da war die Furcht und Ehrfurcht selbst vor denen, die längst zu Staub zerfallen in der Gruft von Arnsberg lagen, den Rittern, Offizieren, Schlachtenhelden. Schon vor tausend Jahren hatten sie Burgen gebaut, Kreuzzüge begleitet, Ruhm

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