Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
Vom Netzwerk:
ärgerlich. »Ich …«
    Von nebenan drangen laute Stimmen heran. Evelyn erkannte Moana und Ane, aber da sie auf Samoanisch stritten, konnte sie kein Wort verstehen. Ane war nach Ilis Ohrfeige einfach davongefahren und auch den ganzen gestrigen Tag nicht aufgetaucht. Evelyn vermutete sie im Aggie Grey’s bei Ray Kettner, doch nun war sie wohl wieder zurückgekehrt, und Moana machte ihr irgendeine Szene. Obwohl Evelyn sich fragte, was wohl gerade zwischen den beiden
vorging, konnte sie sich nicht länger darauf konzentrieren. Zu viel anderes ging ihr durch den Kopf, und die Begegnung mit Carsten hatte sie wieder aufgewühlt.
    Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. »Ich glaube, wir gehen besser woanders hin. Hier wird es zu laut, vor allem, wenn wir nun auch noch anfangen zu streiten.«
    »Das war nie meine Absicht«, sagte er. »Ich wollte …«
    »Bitte«, seufzte sie angestrengt, »lass uns jetzt gehen.«
     
    Warum sie gerade die kleine Fährstation in Salelologa ausgesucht hatte, konnte Evelyn nicht sagen. Auf den ersten Blick eignete sich dieser Ort überhaupt nicht dazu, das zu besprechen, was zwischen ihnen vier Jahre lang offen geblieben war. Normalerweise herrschte am Fährhafen reger Betrieb – zumindest kurz vor Ankunft des Schiffes und unmittelbar danach, und das kleine Pub daneben strahlte eine ungemütliche Kantinenatmosphäre aus.
    Natürlich hätte sie mit Carsten einfach zur Palauli Bay spazieren können, doch irgendetwas in ihr sträubte sich dagegen. Die Bucht war in den letzten Tagen ein Refugium für sie geworden, wo sie entspannt nachdenken konnte. Dort, bei den Felsen, löste sich ihre Verkrampfung. Es war schwierig zu beschreiben, was im Angesicht des tropischen Meeres und inmitten der sanften Geräusche in ihr vorging; am ehesten ließ es sich noch mit dem Gefühl beschreiben, nach Hause zu kommen. Nachdem Carsten nun schon die Insel, den Papaya-Palast und ihr Zimmer betreten hatte, wollte sie den letzten Rest dessen, was seit einigen Tagen ihre Fluchtburg war, für sich allein haben – und für Ili, die dazugehörte.
    Sie holten sich in dem Pub Getränke und nahmen sie mit nach draußen. Evelyn trug einen Pappbecher mit Kokosmilch, Carsten trank eine Cola. Sie gingen an der Fährstation
vorbei. An den Wänden waren vereinzelt altdeutsche Buchstaben zu erkennen, doch die Mauern gaben nicht allzu viele Erinnerungen an Kolonialzeiten preis. Die Inschriften waren fast verblichen, so als wollten sie in den Mauern verschwinden und alles Geschehene mit sich nehmen.
    »Wenn Menschen bloß auch diese Fähigkeit besäßen«, murmelte sie nachdenklich.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Carsten.
    »Gar nichts.«
    Sie gingen auf den Anlegesteg hinaus. Carsten hatte sein Sakko im Auto zurückgelassen und die Krawatte ausgezogen  – sie verstand sowieso nicht, weshalb er in dieser eleganten Aufmachung gereist war. Man sah ihm seine neununddreißig Jahre nicht an, dafür aber das tägliche Joggen und seine Vergangenheit als ehrenamtlicher Bademeister. »Den großen Fang«, hatten ihre Freundinnen Carsten genannt, als Evelyn ihnen von der Verlobung berichtet hatte, und auch sie selbst hatte sich heimlich beglückwünscht.
    Wie lange war das her? Beängstigend, wie ein einziger Tag alles verändern und in Frage stellen konnte.
    Glücklicherweise war keine Fähre in Sicht, so dass sie ungestört von Touristen oder Einheimischen waren, die nach Upolu hätten übersetzen wollen. Das Meer war ruhig, nur am Himmel waren breite, dunkle Wolken aufgezogen, die schon bald den nächsten Schauer bringen konnten, wie zu dieser Jahreszeit üblich.
    Keiner von ihnen sagte etwas. Mit ihren Pappbechern standen sie am Geländer und blickten ostwärts Richtung Upolu, das soeben von warmen, dunstigen Regenschauern eingehüllt wurde. Evelyn hatte Angst, das Gespräch zu beginnen, denn sie wusste nicht, was dabei herauskäme, und Carsten ging es wohl ebenso. Die Sprachlosigkeit, die seit vier Jahren langsam ihre Beziehung zersetzte, beherrschte sie beide.

    »Genau das war unser Problem«, sagte sie irgendwann, als sie das Schweigen nicht mehr aushielt.
    Er konnte nicht wissen, was sie meinte, antwortete aber: »Ich wusste nicht, dass es ein Problem gab.«
    »Ebendeshalb, weil wir nie darüber geredet haben.«
    Er runzelte die Stirn und stellte seinen Pappbecher ab. Es war offensichtlich, dass er sich angegriffen fühlte, und Evelyn wusste, dass er jetzt sein ganzes rhetorisches Geschick aufwenden würde, vom

Weitere Kostenlose Bücher