Der Duft der grünen Papaya
hatte Ili wieder in Erinnerung gebracht, was ihr selbst bevorstand.
»Das sieht verdammt endgültig aus«, hatte sie zu ihm gesagt und sich auf die Lippen gebissen. »Es ist also so weit?«
Er nickte bloß.
»Du hast verkauft?«
Wieder nickte er stumm.
Ili hatte nicht gewusst, was sie sagen sollte. Sie war wütend auf Ben, aber sie nahm ihn in die Arme. Er hatte als kleiner Junge zusammen mit seinem Vater an dieser Stelle eine Bretterbude errichtet, hatte sie später ausgebaut, übernommen, allein weitergeführt, erneut vergrößert, den Lieferservice eingerichtet … Das Geschäft war sein Leben. Ili wusste, wie ihm zumute war, und schluckte jeden Vorwurf hinunter. Was hätten Vorwürfe noch geändert?
Evelyn hatte wohl gemerkt, dass die beiden alten Freunde eine Weile allein sein wollten, und hatte angeboten, zum Einkaufen zu fahren. Ili hatte ihr ein Geschäft in einer Meile Entfernung genannt und eine Liste mitgegeben.
Dann, als Ili mit Ben allein war, gingen sie in seinen Laden. Die Regale waren leer, ein Besen stand in der Ecke, und nur die alte Kurbelkasse erinnerte daran, wie viel Betrieb hier einst geherrscht hatte. In Bens Laden hatten sich die Frauen getroffen, so wie die Männer im Versammlungshaus, hatten geredet, geredet und geredet und dabei ganz allmählich ihre Körbe gefüllt.
Ben legte seine schwere Hand auf die Kasse und sah das alte Ding an wie einen Freund. »Sie will hier nicht weg«, sagte er mit belegter Stimme. »Sie ist zu schwer, selbst für mich. Ich habe es versucht, aber sie – sie will einfach nicht.«
Ili ging eine Weile durch die gefegten Gänge, dann
schluckte sie. »Wie – wie ist es vor sich gegangen, mit dem Verkauf, meine ich?«
»Zwei junge Männer kamen heute Morgen in den Laden und legten mir den Vertrag vor, den der Amerikaner mir neulich schon einmal gebracht hatte. Sie sagten, Mister Kettner könne nicht länger warten. Ich sagte, das ist sein Problem. Da grinsten sie beide, und einer knackte mit seinen Fingern. Da war mir klar, worauf das hinauslaufen würde. Also habe ich unterschrieben.«
»Sie haben dich unter Druck gesetzt?«
»Was soll’s, Ili? Ich hatte ja ohnehin vor zu verkaufen. Nur wollte ich’s wohl nicht wahrhaben und habe einen Tag nach dem anderen verstreichen lassen, vor allem, nachdem ich von der Abholzung gehört habe. Eine Schweinerei, aber es ändert nichts, Ili. Es musste sein. Ich habe vierzigtausend Tala Schulden. Durch den Verkauf kann ich die begleichen und noch ein Sümmchen für meine Rente behalten. Und Moana? Wann unterschreibt sie?«
Ili wandte sich um. »Heute oder morgen, glaube ich.«
»Und dann?«
Ilis Lippen zitterten. »Und dann? Was heißt und dann?«
»Du musst doch irgendwohin.«
»Ich weiß es nicht.«
»Nach Apia, in das Heim? Moana wird dir dort das Leben zur Hölle machen, die Leute aufhetzen …«
»Als wäre das etwas Neues.«
Ben schüttelte den mächtigen Kopf. »Das muss aufhören, Ili. Ihr könnt euch doch nicht ein Leben lang zerfleischen, bis ins Grab hinein. Was ihr euch schon alles angetan habt, ich meine das mit dem geteilten Land, mit Senji, dann Atonio …« Er unterbrach sich. »Ich habe gehört, es hat bei euch wieder gebrannt. Und danach hat es eine Szene gegeben.«
»Woher weißt du das mit der Szene, wie du es nennst?«
»Moana war heute Morgen hier und hat mir Fragen gestellt.
Sie vermutet, ich könnte etwas wissen, du weißt schon, über damals.«
»Dumm war sie nie. Nur töricht.«
»Sie hat es noch nicht aufgegeben, dich ins Gefängnis zu bringen.«
Ili lachte bitter auf. »Das wäre ihr größter Triumph: mich hinter Gitter zu sehen.«
»Oder im Grab«, sagte Ben.
Sie nickte. »Spucken würde sie auf mein Grab, jeden Tag zweimal. Mindestens. Aber lange könnte sie es nicht genießen. Mit meinem Tod würde sie ihr einziges Lebenselixier verlieren. Wenn ich Moana würde umbringen wollen, müsste ich mich einfach nur selbst umbringen. Mord durch Selbstmord. Mal was Neues.«
Er seufzte. »Dass du sogar darüber noch Witze machst, Ili.«
»Irrtum«, sagte sie und ging zur Tür, denn sie hatte Evelyns Mietwagen vorfahren hören. »Es ist nicht witzig, Ben. Es ist nur meine Art, der Verzweiflung Ausdruck zu verleihen.«
Danach war sie tatsächlich in eine Verzweiflung gestürzt, die ihr neu war, eine tiefe, stille Mutlosigkeit. Ben, Moana, Ane, der Amerikaner, sie alle waren auf die eine oder andere Weise gegen sie. Nur Evelyn nicht. Das Zwischenhoch, das diese neue Freundin
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