Der Duft der grünen Papaya
reden, und sag mir nicht, du hättest nicht bemerkt, dass ich in den letzten Monaten viel zu viel getrunken habe.«
Er senkte den Blick.
»Hast du mir zum Beispiel ein einziges Mal geraten, eine Therapie zu machen?«, fragte sie.
»Das hättest du ja doch nicht getan.«
»Vielleicht nicht. Einen Versuch wäre es wert gewesen, meine ich. Hast du mit mir über Julia gesprochen, über die
wenigen schönen Augenblicke, die wir mit ihr hatten? Über die Schwangerschaft und was wir dabei fühlten? Über die Hoffnungen und Erwartungen, die wir für unsere Tochter hatten? Und über das, was von diesen Träumen übrig geblieben war? Einmal im Jahr auf den Friedhof gehen, das war alles, was du und ich gemeinsam im Hinblick auf Julia geleistet haben. Das war unser einziger Auftritt als Eltern. Ehrlich gesagt, Carsten, ist das für uns beide beschämend erbärmlich.«
Er wandte sich ab und ging den Steg ein Stück zurück, dann blieb er stehen, trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, stemmte die Arme in die Hüften und blickte mal zum Mount Mafane hoch, mal auf das Meer und dann wieder zu dem kleinen Café neben der Fährstation.
Evelyn glaubte, sich zu täuschen, als sie bemerkte, dass sein Kopf leicht zitterte, doch dann drehte er sich kurz zu ihr um und sah sie aus zehn Schritt Entfernung an, bevor er sich wieder der Landseite zuwandte. Dieser kurze Moment hatte ihr gereicht, um den Glanz in seinen Augen zu erkennen und die Verletzlichkeit. Der Gedanke kam ihr, dass sein selbstsicheres Auftreten, der Erfolg und diese ganze Managerattitüde, die er seit Jahren vorführte, unecht waren, eine unbewusste Flucht, seine Art der Flucht.
Vom Meer drang das dumpfe Dröhnen des Fährhorns herüber. Carsten sah auf seine Uhr, dann schien ihm etwas einzufallen.
»Ich – ich muss gehen«, sagte er.
Nicht gerade der beste Zeitpunkt, ein solches Gespräch zu beenden, dachte sie. Andererseits war sie müde. Carstens plötzliches Auftauchen, dieser Streit, das Sprechen über schmerzvolle Erinnerungen, all das hatte an ihren Nerven gezerrt.
»Also gut«, seufzte Evelyn. »Vielleicht ist es wirklich besser, wenn wir ein anderes Mal weiterreden.«
»Tut mir Leid, ein wichtiger Termin«, erklärte er. »Bei der Regierung.«
»Regierung?«, wunderte sie sich.
Er rieb sich gestresst die Augen. »Ja, es – es war nicht anders möglich für mich, zu dir zu kommen. Wir stecken in Afrika bis zum Hals in Arbeit, und die Bank hat mich nur gehen lassen, weil ich mit einem Kollegen getauscht habe, der für Südostasien und Ozeanien zuständig ist, auch für Samoa. Ein Kunde von uns hat hier Schwierigkeiten und da …« Er zuckte mit den Schultern. »Tut mir Leid«, wiederholte er. »Wirklich.«
Sie entschuldigte ihn mit einem Blick. Er hatte sich offenbar nur unter Mühen freimachen können, ihr um die halbe Welt zu folgen, und das Gespräch hatte ihn ebenso mitgenommen wie sie. Sie wollte wegen dieses Geschäftstermins bei der Regierung kein weiteres Aufhebens machen, als er von sich aus hinzufügte:
»Es geht um irgendein Stück Land auf dieser Insel. Es soll für die Holzindustrie genutzt werden.«
Sie erschrak und brauchte einige Sekunden, um zu verstehen. »Das darf doch nicht wahr sein. Deine Bank und Kettner ? Ihr seid seine Kreditgeber?«
»Du kennst Raymond Kettner?«
Sie stammelte: »Na ja … ein wenig. Er ist der Mann, der Ili das Land wegnehmen möchte.«
»Wem?«
»Ili Valaisi! Du weißt schon, die Frau, die dich am Papaya-Palast begrüßt hat.«
»So? Ich wusste nicht mal, um welches Land es sich handelt, geschweige denn, wer der Eigentümer ist. Da fällt mir ein, dass ich die Unterlagen noch durchgehen muss. Die halbe Stunde auf der Fähre muss mir genügen, zum Glück habe ich Übung in so was.«
»Willst du damit sagen, dass du Ray Kettner unterstützt?«
Carsten schien ihre Aufregung nicht zu verstehen.
»Ich kenne ihn nicht einmal. Erst nach meiner Besprechung bei der Regierung bin ich mit ihm verabredet. Im« – er sah auf einem Zettel nach, den er aus der Hemdtasche zog – »im Aggie Grey’s .«
»Und was hast du mit der Regierung zu bereden?«
»Also, darüber darf ich nun wirklich nicht mit dir sprechen, Evelyn. Das sind absolute Interna.«
Er beeilte sich, zum Auto zu kommen, und sie lief hinter ihm her.
»Na, hör mal. Dieser Mensch will Ilis Land zerstören, das will ich verhindern.«
»Dann darf ich erst recht nicht mit dir darüber sprechen«, entgegnete er und holte Sakko und
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