Der Duft der grünen Papaya
mit ihrer beherzten Aktivität bewirkt hatte, war jedoch nach dem deprimierenden Gespräch mit Ben endgültig abgezogen, und Ili hatte von da an weder die Tatsache genießen können, dass der Amerikaner oder die zwei Halbstarken noch nicht im Papaya-Palast aufgetaucht waren, um den Vertrag abzuschließen, noch Evelyns Optimismus. Evelyns neueste Idee, die samoanische Regierung einzuschalten, damit diese den Verkauf zum Zweck der Rodung untersage, klang nicht vielversprechend, dafür kannte Ili die Administration
zu gut. Dennoch, nur um irgendetwas zu tun, hatte sie die von Evelyn aufgesetzte Eingabe unterschrieben. Am Abend hatte sie fast nichts gegessen, obwohl Evelyn aus einigen Zutaten einen zwar ungewohnten, aber schmackhaften Salat zum Abendessen zubereitet hatte, und sie hatte auch schlecht geschlafen. Zuerst waren ihr die tausend Sorgen ins Bett gefolgt. Als die Erschöpfung dann doch siegte, hatte Ili sich im Schlaf hin und her gewälzt und, wie schon in der Nacht zuvor, schlecht geträumt. Schließlich war sie, völlig erledigt, zwei Stunden vor Morgengrauen aufgewacht. Sie hatte sich einsam gefühlt, leer und hilflos wie noch nie in ihrem Leben. Wie eine Verräterin an den Vögeln und den Bäumen war sie sich vorgekommen, denn wenn sie selbst auch wusste, dass ihr keine Schuld an der nahenden Katastrophe zukam, so war doch klar, dass die Vögel und Bäume es nicht wissen konnten. So viele würden sterben, so vieles, was in tausend Jahren gewachsen war, würde in wenigen Wochen zerstört sein.
Obwohl es noch dunkel gewesen war, hatte Ili sich auf den Weg zum Mafane gemacht. Sie wollte ihnen noch einmal nahe sein, den Tieren und Pflanzen, der heiligen, von den Samoanern früherer Zeiten verehrten Natur – und den Menschen, die längst schon gegangen waren, Tuila und Tristan. Auf dem Felsen suchte sie die Kraft zum Weitermachen, die Energie, von der das Rad ihres Lebens stets den Schwung bekommen hatte. Stattdessen musste sie erleben, wie dieser lebendige Ort plötzlich den Atem des Abschieds ausstieß. Der Untergang des Hauses und des Papayalandes lag in der Luft. Ili konnte es spüren, zum ersten Mal. Die Stämme würden vielleicht bald die Sockel von schweren Lampen bilden, die Planken zu Tischplatten werden, und vom Papaya-Palast würde am Ende nur ein riesiger Haufen Sägespäne übrig bleiben, den der Wind wegtragen oder das Meer schlucken würde.
Die aprikosenfarbenen Wolkenkarawanen, die flatternden Loris, die raschelnden Feigenblätter – all dieses Leben ließ den Gedanken, der ihr durch den Kopf ging, abwegig erscheinen, und doch setzte er sich in Ili fest.
Mit dem Papaya-Palast, der so alt wie sie selbst war, würde auch sie sterben.
Als Ili gegen Mittag wieder im Papaya-Palast eintraf, fuhr gerade eines der wenigen Inseltaxis vor. Ein schlanker Mann stieg aus, dessen beigefarbener Anzug warm im Sonnenlicht leuchtete, und an seinem eleganten Lederkoffer klebten die Fahnen von mehreren Fluggesellschaften. Er sah attraktiv aus – Seitenscheitel, schön geschnittenes Gesicht, leichte Patina von Bräune –, und doch spürte Ili sofort, dass dieser Mann nichts Gutes mitbrachte.
Sie ging auf ihn zu, und er streckte ihr freundlich die Hand entgegen.
»Guten Tag«, sagte er höflich. »Ich …«
Der Taxifahrer fragte, ob er warten solle, doch der Mann lehnte ab.
»Sind Sie sicher, dass das eine gute Idee war?«, fragte Ili, nachdem das Taxi abgefahren war. »Auf das nächste Taxi werden Sie lange warten müssen.«
»Ich hoffe, über Nacht hier bleiben zu können«, erwiderte er.
Ili zeigte auf das beschädigte Haus.
»Sie sehen ja selbst, dass das momentan ungünstig wäre. Außerdem ist mein Gästezimmer schon vermietet.«
Er nickte. »Ich weiß. Vielleicht sollte ich mich zuerst vorstellen. Mein Name ist Braams, Carsten Braams, und Evelyn ist meine Frau.«
Er ist der letzte Mensch, den ich hier erwartet habe, dachte Evelyn und bot ihm einen Stuhl in ihrem Zimmer an, das
vorübergehend auch Ilis Schlafzimmer war. Sie selbst setzte sich auf das ungemachte Bett. Natürlich spürte sie die steife Gezwungenheit dieser Geste, gleichzeitig brauchte sie die Distanz zwischen ihnen. Carsten war derart unerwartet in diese ferne Welt und die Ereignisse geplatzt, dass sie Mühe hatte, sich an ihn zu gewöhnen. Schon allein ihn hier sitzen zu sehen, in diesem Zimmer, das ihr gehören sollte für die Zeit ihres Aufenthaltes, ihn in diesem Haus herumlaufen zu sehen, in dem sie mit Ili
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