Der Duft der grünen Papaya
wunderbare Gespräche geführt und Geschichten gehört hatte aus einer anderen, vergangenen und doch irgendwie präsenten Welt, all das ließ seine Anwesenheit fremd und, ja, unpassend erscheinen.
Er räusperte sich. »Vielleicht sollte ich erst einmal erklären … Du möchtest sicher wissen, wie ich es geschafft habe, dich zu finden.«
Das lag auf der Hand. Bianca war die Einzige, die wusste, dass sie sich auf Samoa befand, und Evelyn hatte ihr gegenüber den Papaya-Palast erwähnt. Alles Weitere war für einen an Reisen gewöhnten Menschen wie Carsten, der sich selbst in Ländern mit wenig Infrastruktur spielend zurechtfand, eine Kleinigkeit.
»Bianca«, sagte sie nur.
»Sei ihr nicht böse«, bat er. »Bianca hat es nur gut gemeint, sie ist deine Freundin. Ich habe ihr tagelang in den Ohren gelegen, ohne etwas herauszubekommen. Erst später hat sie …«
Evelyn hob abwehrend die Hand.
»Das ist doch jetzt ganz unwichtig. Die Frage ist, warum du gekommen bist.«
»Wie hätte ich denn sonst mit dir sprechen können?«, fragte er. »Ich habe dein Handy mit Anrufen geradezu bombardiert, bis irgendwann die Meldung kam, dass die Nummer nicht mehr erreichbar ist. Und da der Papaya-Palast, wie dieses Haus hier wohl heißt, kein Telefon hat …«
»Ja, ja«, sagte Evelyn ungeduldig und rieb sich die Stirn. »Aber warum bist du gekommen? Hättest du mich nicht einfach ein paar Tage allein lassen können? Weshalb, glaubst du, habe ich Deutschland verlassen?«
»Ich … verstehe nicht. Du bist doch … meine Frau«, sagte er etwas verwirrt. Er hatte sich vermutlich einen anderen Empfang vorgestellt, eine strahlende Evelyn, die ihn in die Arme schließen und küssen würde – wie in einer Szene aus einem Hollywood-Film.
»Ja, ich bin deine Frau«, erwiderte sie. »Ich bin aber auch eine Frau, die Abstand braucht, und den finde ich hier – auf eine Weise, wie ich sie selbst nicht erwartet hätte.«
Er ging auf ihren Nebensatz nicht ein, sondern hörte nur ein einziges Wort heraus. »Abstand von mir ?«, fragte er.
Sie zögerte einen kurzen Moment.
»Abstand von allem«, sagte sie schließlich und empfand dabei wieder jenes prickelnde Gefühl, das sie neulich schon in Apia gespürt hatte, vor der Verabredung mit Ray Kettner, das Gefühl, Carsten wehtun zu wollen.
In den letzten Jahren, seit er bei der United Trade and Commerce Bank aufgestiegen war, war er ihr immer unangreifbarer erschienen. Seinen Anzug trug er stets wie eine Rüstung, und sein weltgewandtes Auftreten verlieh ihm einen Charme und eine Sicherheit, die er früher, während des Studiums und in den ersten Ehejahren, nicht besessen hatte. Da war er eckiger, natürlicher, da war sie es gewesen, die ihm seine Zweifel vor den Prüfungen und Bewerbungsgesprächen genommen hatte, die ihn zum Tanzen hatte überreden müssen, weil er fürchtete, sich zu blamieren, und die sich manchmal einen Spaß machte, ihn in Verlegenheit zu bringen, und dann lächelte, wenn er errötete. Es waren gerade seine Sensibilität und Verletzlichkeit, die sie sosehr an ihm liebte und die ihn von großspurigen Männern unterschied.
Julias Tod hatte auch in dieser Hinsicht einen Einschnitt bedeutet. Seltsamerweise brach Carsten, der Sensible, nicht zusammen, während sie, die Selbstbewusste, sich nie wieder davon erholte. Ja, es schien fast so, als sei er von dem Moment an die Karriereleiter emporgestiegen und hätte an Selbstvertrauen gewonnen, als sie in ihre tiefste Krise stürzte.
Und etwas in ihr gönnte ihm diese Festigkeit nicht.
»Ich gebe zu«, sagte sie leise, »dass ich dir eine Nachricht hätte hinterlassen sollen. Einen Brief vielleicht, ein paar Worte auf dem Anrufbeantworter, irgendetwas. Aber ich war durcheinander. Und du warst nicht da. Genau genommen war ich durcheinander, weil du nicht da warst.«
Sie bemerkte den unbeabsichtigten Vorwurf, der darin lag, gleichzeitig war sie nicht bereit, ihn abzumildern. Natürlich trug Carsten nicht die Schuld für ihren Selbstmordversuch, ganz unbeteiligt war er jedoch nicht, dafür war er ihr in den letzten Jahren zu wenig eine Stütze gewesen.
»Ich hatte dich angerufen«, erinnerte er sie. »Ich war in …«
»In Lubumbashi, ich weiß. Oder war es Ndjamena? Und wenn du stattdessen in Heidelberg gewesen wärst, für mich macht das keinen Unterschied, Carsten. Du warst nicht da . Es war Julias Geburtstag – und Todestag. Das hast du anscheinend vergessen.«
»Natürlich nicht«, erwiderte er etwas
Weitere Kostenlose Bücher