Der Duft der grünen Papaya
Aktenkoffer vom Rücksitz. Er war schon wieder ganz der Manager.
»Carsten, das ist kein Spaß. Es geht um eine Freundin.«
»Die alte Dame ist deine Freundin?«
Evelyn nickte. »Sie ist sehr nett, Carsten. Ihretwegen hast du mich vorhin weder betrunken noch verkatert vorgefunden. Sie hört mir zu, ich höre ihr zu, wir helfen uns gegenseitig. Wenn sie nicht gewesen wäre …«
Er nahm sie sanft an den Schultern. Wahrscheinlich bemerkte er es gar nicht, aber es war die erste Berührung zwischen ihnen seit seiner Ankunft.
»Evelyn, ich glaube dir das alles, aber ich kann dir nicht sagen, worum es bei der Konferenz geht.«
»Hat es mit meiner Eingabe zu tun?«
Carsten seufzte erschöpft. »Eingabe? Ich weiß nichts darüber, möglicherweise steht es in den Unterlagen. Worum geht es dabei?«
»Eigentlich ist es Ilis Eingabe, nicht meine. Ich habe ihr nur geholfen. Wir wollen …« Sie unterbrach sich. »Da du mir nichts verrätst, wirst du verstehen, wenn ich dir ebenfalls nichts verrate.«
Inzwischen hatte die Fähre angelegt, und ein Schwall von kunterbunt durcheinander redenden Menschen in farbigen Tüchern oder Hawaiihemden ergoss sich auf den Steg. Die wenigsten von ihnen waren Touristen, was durch das Fehlen eines Fotoapparates auf der Brust erkennbar war, sondern Einheimische, die zum Arbeiten auf die Insel kamen oder Familienangehörige besuchten.
Eine Weile konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen, so dass Evelyn und Carsten warteten, bis die schwatzenden Menschen an ihnen vorbeigegangen waren.
»Ich habe mir meine Ankunft irgendwie anders vorgestellt«, bekannte er schließlich. »Ich dachte, ich komme zu dir, und dann … Ich weiß auch nicht.«
Sie war jetzt wütend, und zwar über so vieles, dass sie die Gründe für die Wut kaum auseinander halten konnte. »Du kommst, siehst und siegst, dachtest du das?«
»Verdammt, Evelyn«, erwiderte er gereizt. »Du weißt, dass ich es so nicht gemeint habe. Natürlich ahnte ich, dass es nicht leicht würde, dass wir reden müssen, aber … Eine geschäftliche Auseinandersetzung! Zu allen anderen Problemen! Das macht es nicht einfacher.«
Noch am Steuer ihres Wagens, auf dem Weg zum Papaya-Palast, ging Evelyn diese Bemerkung von Carsten durch den Kopf. Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Tatsächlich war die Situation schon vor ihrem Gespräch nicht einfach gewesen. Tausend Tage Schweigen lagen hinter ihnen, tausend Nächte, in denen sie sich kaum berührt hatten, und wenn sie dann doch einmal miteinander geschlafen hatten, spürten sie den anderen und sich selbst nicht auf dieselbe Weise wie früher. Wie zwei Phantome lebten sie nebeneinander her. Sie saßen gemeinsam am Frühstückstisch, sie beredeten, wann sie wessen Eltern besuchen wollten, sie sprachen über die Slums von Lubumbashi
und die Innenstadt von Nairobi, die angeblich der von Frankfurt ähnelte, über Anschaffungen für den Haushalt, doch Carsten lebte für seine Bank, und sie lebte für eine Tote. Sie bewegten sich in verschiedenen Welten.
Durch ein einziges Gespräch war diese Entfremdung – wenn überhaupt noch – nicht zu bewältigen, selbst wenn Carsten bei seinem Abflug aus Deutschland diese naive Hoffnung gehegt hatte.
Evelyns Blick fiel auf das Handy auf dem Beifahrersitz. Nachdem sie ihm beim Abschied an der Fähre erklärt hatte, wo ihr eigenes Handy seine überraschende Ruhestätte gefunden hatte, war ihm eingefallen, dass er zwei dabeihatte, die er nicht beide brauchte. Damit sie sich telefonisch verabreden konnten, hatte sie es nach einigem Hin und Her schließlich angenommen. Aber was würde diese nächste Verabredung bringen? War im Grunde nicht schon alles gesagt? Was erwartete sie eigentlich von Carsten? Was würde er von ihr erwarten, und war sie bereit und in der Lage, die Erwartungen zu erfüllen? Tatsache war, dass sie auf keine dieser Fragen eine Antwort hatte.
Und dann war da noch Ray Kettner. Nicht der Geschäftsmann Ray Kettner, sondern der Mann, mit dem sie geschlafen hatte. Der Mann, auf den sie hereingefallen war.
Auf der Fahrbahnmitte kam ihr unversehens mit hoher Geschwindigkeit ein Wagen entgegen. Gerade noch rechtzeitig riss sie das Steuer herum, streifte mit der Beifahrerseite ihres Autos die Zweige des Strauchwerks und bremste. Sie wollte einen Fluch ausstoßen, als sie in der Fahrerin des Wagens Ane erkannte. In einem solchen Zustand hatte Evelyn sie noch nicht gesehen, in Tränen aufgelöst, mit verschmiertem Make-up. Evelyn
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