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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Tätowierungen der Männer an den Beinen und an den Oberarmen ausgesprochen sinnlich gefunden. Jetzt, mit einundneunzig Jahren, war diese erotische Vorliebe freilich erloschen, dennoch betrachtete sie noch immer gern die blaugrauen Muster auf der Haut.

    Trotz der Verbundenheit zu den alten Bräuchen ihres Volkes war die neuseeländische Kolonialzeit nicht ohne Wirkung auf Ili geblieben – sie hatte ja schließlich ihr halbes Leben damit verbracht. Das oft feuchtwarme Wetter Samoas verhinderte nicht, dass sie sowohl morgens wie auch am Nachmittag eine Tasse heißen Tees trank, und wenn Gäste kamen, stellte sie auch Sahne, Zucker, Marmelade und selbst gemachtes Gebäck dazu. Milchprodukte und Mehl waren nicht leicht zu bekommen, denn sie waren keine Bestandteile der samoanischen Küche, aber der alte Ben besorgte ihr in unregelmäßigen Abständen den Nachschub – wenngleich er ausländische Gerichte nicht schätzte und Ili wegen dieser verschrobenen Gewohnheit gerne neckte.
    Am schwierigsten zu erkennen war sicherlich der deutsche Teil von ihr. Zwar war ihr Blut zur Hälfte deutsch – falls man Blut überhaupt einer Nationalität zuordnen konnte –, doch bis auf die etwas hellere Haut und die nicht ganz so ausgeprägte südseetypische Mandelform der Augen, war ihr europäisches Erbe nicht sichtbar. Manchmal dachte sie, dass die ihr eigene Disziplin ein Vermächtnis des Vaters war und womöglich auch der trotzige Geist, der sie bisweilen das Gegenteil tun ließ von dem, was die anderen taten. Sie konnte das nur vermuten. Tatsache war, dass ihre mütterlichen Wurzeln, die samoanischen, im wahrsten Sinne greifbar waren und sich in allen Dingen manifestierten, die Ili umgaben, während die väterlichen sich tief eingegraben hatten und unsichtbar blieben. Lange Zeit hatte sie sich damit abgefunden, manchmal bereitwillig und manchmal widerstrebend, nun aber ergab sich überraschend die Gelegenheit, mit jemandem zu sprechen, der aus dem Land kam, das irgendwo in ihr drin war.
    »Wussten Sie«, begann Ili, während sie Evelyn den Teller mit den Scones anbot, »dass Samoa eine deutsche Kolonie
war, bevor die Neuseeländer kamen? Damals hieß Deutschland noch Deutsches Reich und wurde von einem Kaiser regiert.«
    Evelyn wirkte sichtlich überrascht. »Ich dachte, die seien nur in Afrika gewesen.«
    »Nicht nur. Ein Teil Neuguineas war ebenso Kolonie wie die Marshall-Inseln, die Marianen und eben auch Samoa. Apia sei die südlichste deutsche Stadt, rühmten Ihre Landsleute sich damals.«
    »O je«, seufzte Evelyn und trank einen großen Schluck Tee. »Dann sind die Samoaner bestimmt nicht gut auf uns zu sprechen.«
    Ili lächelte. »Keine Sorge. Abgesehen davon, dass die Deutschen auf Samoa relativ beliebt waren – Sie staunen, Evelyn, aber so war es –, abgesehen davon also hat keiner der heute Lebenden diese Jahre noch bewusst erlebt. Die deutsche Kolonialzeit auf Samoa endete vor langer Zeit – recht dramatisch übrigens. Doch dieses Haus hier, der Papaya-Palast, wurde noch in der deutschen Zeit erbaut – von einem Deutschen.«
    »Wollen Sie damit sagen …«
    »Ein Stück Geschichte, ja, wenn Sie so wollen, Ihrer Geschichte, Evelyn. Aber ebenso meiner. Ich bin hier geboren worden, nächsten Monat ist das einundneunzig Jahre her, im Dezember 1914.«
    »Das ist ja unglaublich! Ich meine, sowohl das mit dem Haus wie auch mit Ihnen. Ich hatte Sie viel jünger geschätzt.«
    In diesem Moment krachte eine Kokosnuss auf das Tablett, riss ein paar Scones mit sich und rollte unmittelbar neben Evelyn. Hinter einem Fliederbusch tauchte eine kleine und hagere Frau auf, den Rücken leicht gekrümmt und die Haut von Hunderten seichter Faltengräben zerfurcht, die sich wie Wurzeln über ihr altes Gesicht zogen. Gespenstergleich
fielen kalte Wogen silbrigen Haares über ihre Schultern, und ihre zusammengepressten, wie von Nadeln vernähten Lippen verzogen sich zu einer schiefen, leidenden Grimasse. Rasch verschwand sie im linken Flügel des Papaya-Palastes.
    »Du meine Güte«, ächzte Evelyn, noch immer erschreckt von dem Aufschlag der Kokosnuss. »Was war das denn?«
    Ili schien weit weniger überrascht von dem Vorfall. »Moana, dieses Miststück«, schimpfte Ili. »Jetzt geht sie schon auf meine Gäste los.«
    »Da ist ein Zettel an der Kokosnuss befestigt. Warten Sie, darauf steht …« Evelyn konnte die krakelige englische Schrift zunächst nicht entziffern. Dann stockte ihr der Atem. »Darauf steht: Ili will mich

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