Der Duft der grünen Papaya
schon seit Ewigkeiten abzusehen war, keine Ernte, die nicht von vorn bis hinten mit allen Eventualitäten durchdiskutiert wurde, ja, selbst die Toten hatten ihr Ableben zeitig genug mit einem hartnäckigen Husten, Kurzatmigkeit oder allgemeinem Unwohlsein angekündigt. Jeder, einfach jeder, passte sich der ungeschriebenen Ordnung des hiesigen Mikrouniversums an.
Das Zusammensein mit diesen Menschen ermüdete Tristan auch heute. Natürlich hatte er wie die anderen auf das Wohl des Kaisers getrunken und während der Hymne Haltung angenommen, das war seine Pflicht gewesen. Und eigentlich waren ihm solche Gesellschaften auch von zu Hause vertraut, wo seine Eltern oft genug Feste und gesellige Nachmittage im Garten von Schloss Arnsberg gegeben hatten, begleitet von Schwätzchen, Handküssen und Operettenmelodien. Dort hatte er stets »mitgespielt«. Doch in
die Südsee passten solche Rituale nicht, fand er. Die Deutschen waren hier Fremde, sie benahmen sich wie Fremde, und sie wollten auch nichts anderes sein. Sie hatten Samoa vor fünfzehn Jahren in Besitz genommen, weil ein Vertrag mit Großbritannien und den Vereinigten Staaten das so vorsah, und alles in allem verhielten sie sich hier anständig. Sie respektierten den samoanischen König, indem sie ihm den Titel beließen, eine Residenz und ein offenes Automobil zur Verfügung stellten, in welchem er sich knatternd über die Insel fahren ließ, und er revanchierte sich, indem er seinen schweren Körper von Zeit zu Zeit in eine weiße Uniform steckte und dem Kaiser ergebene Briefe voller Rechtschreibfehler zuschickte. Trotzdem, die Deutschen hatten diesem Inselreich im Grunde nichts zu geben. Samoa war ein Prestigeobjekt für sie, und hätten sie es gegen Hongkong, Bombay, Malta oder sonst etwas tauschen können, hätten sie es getan.
Tristan nicht. Seit er den Fuß zum ersten Mal auf samoanischen Boden gesetzt hatte, war etwas Seltsames mit ihm passiert. Hatte er während der mehrwöchigen Schiffspassage noch häufig an die saftigen, westfälischen Wiesen gedacht, an das Muhen der Kühe, den manchmal scharfen Westwind und den Frühnebel auf den Feldern, so löste sich diese Sehnsucht nach der Heimat in Samoa in nichts auf. Es war, als seien die Inseln und ihre Menschen für ihn geschaffen worden: die Ungezwungenheit, die er in Deutschland vermisste, die Heiterkeit, die einen nachdenklichen, manchmal melancholischen Menschen wie ihn aufmunterte, die Sorg- und Bedürfnislosigkeit, die Stille, die gerade so tief war, dass man sich erholen konnte, ohne sich einsam fühlen zu müssen.
Alle Eigenschaften Samoas vereinigten sich in ihr, in Tuila. Erst vor wenigen Stunden hatten sie beisammen gelegen, und schon vermisste er sie wieder.
»Nun, da ist ja der Herr Leutnant!«, rief Gertrude Schultz, die Gouverneursgattin, und schritt entschlossen auf ihn zu. Sie war eine voluminöse Erscheinung. Größer und breiter als andere Frauen, eingezwängt in Korsage und Rock und den Schirm bisweilen eher wie einen Säbel führend, war sie die ideale Anführerin der weiblichen Gesellschaft Samoas. Ihr Schritt war derart entschlossen, dass man stets hoffte, sie würde rechtzeitig stehen bleiben, wenn man sie auf sich zukommen sah. In ihrem Windschatten befand sich Clara Hanssen, die Tochter eines Kaufmanns, und sobald Tristan sie sah, wusste er, was ihm bevorstehen würde.
»Sie stehen ja schon wieder allein herum, Herr Leutnant«, konstatierte die Gouverneursgattin. »Man fragt bereits nach Ihnen. Sie sind ein Eigenbrötler, wie? Nun, dagegen lässt sich etwas tun. Darf ich Fräulein Hanssen Ihrer Obhut übergeben? Heute sind zu wenige junge Damen anwesend, und bei uns alten Schrapnellen langweilt sie sich doch bloß.«
Fräulein Hanssen wollte widersprechen, doch die Gouverneursgattin ließ das nicht zu. »Nein, mein Kind, sagen Sie nichts. Ich verstehe das nur zu gut. Schließlich war ich auch einmal jung. Nein, nein, sagen Sie nichts.«
Sie wandte sich wieder an Tristan. »Bei Ihnen ist sie in den besten Händen, das weiß ich doch. Sie beide werden ein wenig flanieren, dort an den Rosenbüschen entlang. Und danach müsste auch schon bald die Bowle fertig sein, und Sie trinken dann ein Gläschen.«
Nachdem Frau Schultz vorgegeben hatte, wie Tristan und Clara Hanssen sich in der nächsten halben Stunde zu amüsieren hätten, rauschte sie wieder davon.
Clara Hanssen leistete ihm nicht zum ersten Mal Gesellschaft. Seit seiner Ankunft war sie ihm auf beinahe jeder Festivität an
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