Der Duft der grünen Papaya
öffnete. Vier Flaschen goldgelben Weißweins, den sie noch schnell in Apia an der Anlegestelle gekauft hatte, funkelten sie an, doch sie versuchte, sie zu ignorieren, und widmete sich erst dem übrigen Inhalt.
Sie packte nacheinander alle Kleidungsstücke aus und sortierte sie in die Regale und Schränke. Es waren schöne Möbel, die meisten aus dunklem Holz mit alten Narben, die darauf hinwiesen, dass diese Gegenstände schon eine lange Geschichte hinter sich hatten. Lange brauchte sie dafür nicht: eine weiße Jeans, eine dunkle Stoffhose, T-Shirts, zwei Blusen, Wäsche, sogar ein eisgrünes Herrenhemd von Carsten, das sie versehentlich gegriffen haben musste. Nach wenigen Handgriffen war der Koffer leer – bis auf die vier Flaschen. Kurz blieb ihr Blick auf ihnen haften, dann sah sie sich unruhig in dem kleinen quadratischen Raum um, betrachtete zum dritten und vierten und fünften Mal das Rattanbett mit dem geschwungenen Kopfteil, das Moskitonetz, das sich wie ein Baldachin darüber wölbte, die Schubladenkommode und den breiten Armlehnstuhl, der
aussah, als habe schon Kapitän Cook höchstpersönlich auf ihm gesessen. Sie konnte sich jedoch ablenken, so viel sie wollte – immer wieder kam sie auf den Weißwein zurück.
Bei der Berührung einer Flasche mit Alkohol bekam Evelyn das Gefühl, als nehme sie eine geladene Waffe in die Hand. Einerseits vermittelte eine Waffe die Sicherheit, dass man auf alles vorbereitet sei, und manche Menschen durchströmte dabei sogar ein Gefühl der Befriedigung und Macht. Andererseits erweckte eine Waffe die Befürchtung, dass sie sich irgendwann gegen einen selbst richten könnte. Geladene Waffen waren unheimlich. Man fühlte sich damit nie ganz wohl und nie völlig unwohl. So etwa erging es ihr mittlerweile mit einer simplen Flasche Wein, und sie wusste, dass das ein schlechtes Zeichen war. Die übelsten Zerstörungen in ihrem Leben waren nicht diejenigen, die plötzlich über sie hereingebrochen, sondern diejenigen, die ganz langsam in ihren Alltag eingesickert waren.
Wieder spürte sie das gallige Gebräu von Erinnerungen und Gefühlen in sich aufsteigen. Sie zog Ray Kettners Tuch hervor und tupfte sich damit die Stirn ab. Verzweifelt legte sie sich auf das Bett.
Es klopfte an der Tür.
Evelyn zuckte heftig zusammen und spürte im nächsten Augenblick, wie sich ihr Rock mit Weißwein voll sog. Sie hatte eine Flasche geöffnet und ein großes Wasserglas von der Anrichte gefüllt, leer getrunken und erneut gefüllt. Nun tropfte alles auf ihre Kleidung und den Boden. Der typische Geruch von Weißwein erfüllte binnen Sekunden das ganze Zimmer.
Ilis Stimme drang dumpf durch das Holz: »Ist alles in Ordnung?«
»J-ja«, rief Evelyn.
»Darf ich kurz hereinkommen?«
»Einen Moment, bitte.«
Sie öffnete rasch das Fenster und kippte den restlichen Inhalt des Glases hinaus, steckte den Korken in die halb leere Flasche, schlug die Decke darüber, schloss den Koffer und schob ihn eilig unter das Bett.
Sie räusperte sich. »Ja bitte?«
Ili steckte ihren großen runden Kopf durch einen Spalt. »Ich habe Sie doch nicht etwa geweckt?«
»Nein, ich habe mich nur ein wenig von den Strapazen der Reise erholt.«
»Gefällt Ihnen das Zimmer, Evelyn? Leider ist es nicht allzu groß.«
»Es ist sehr hübsch«, antwortete sie.
»Fein. Möchten Sie einen Tee mit mir trinken? Es ist eigentlich schon zu spät dafür, beinahe Abend, aber ich dachte, wir können uns ein wenig kennen lernen. Natürlich nur, wenn Sie möchten.«
Evelyn lächelte. »Gerne. Ich komme sofort. Eine Minute.«
»Lassen Sie sich bitte Zeit. Davon haben wir auf Samoa genug.«
Die Tür schloss sich wieder.
Evelyn stöhnte auf. Das war gerade noch einmal gut gegangen.
3
Auch das noch!
Das war das Erste, was Ili durch den Kopf ging, nachdem sie die Tür des Gästezimmers geschlossen hatte. Sie hatte schon so manchen kuriosen Gast unter ihrem Dach beherbergt. Da war eine Frau gewesen, die bei jedem Gecko,
den sie sah, schreiend auf den nächstbesten Stuhl sprang, so als würde sie von einer Königskobra bedroht. Eine andere war mit Pinseln und Staffelei angereist – und mit einem Strohhut von den Ausmaßen eines Autoreifens – und kannte kein größeres Glück, als Ili zu malen, während sie Gartenarbeit verrichtete. Und ein nicht mehr junger Mann spazierte während der Ernte stundenlang durch die Plantage und beobachtete die halb nackten Arbeiter, wie sie sich abmühten und schwitzten. Vom
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