Der Duft der grünen Papaya
kompliziert zu schreiben, daher warf er ihr ein Formular aufs Pult und machte eine Geste, die ausdrücken sollte, dass sie es auszufüllen habe. Dort, wo sein Finger das Papier berührt hatte, haftete ein Stück Banane. Sie entfernte es mit dem Kugelschreiber und fragte: »Wie geht es jetzt weiter?«
Er hatte sich gerade die halbe Banane in den Mund geschoben und brauchte eine geschlagene Minute, um ihr zu antworten. »Wir schicken jemanden.«
»Darf ich fragen, wann?«
»Wann?«, wiederholte er. Auf seinem Gesicht zeichnete sich zum ersten Mal eine Regung ab, nämlich Erstaunen.
»Ja, wann! Eine junge Frau hat einen Schock«, erklärte Evelyn. »Sie braucht unbedingt ärztliche Behandlung. Außerdem ist es heiß. Wer weiß, wie lange Moana dort schon liegt. Verstehen Sie, was ich meine?«
Er schob sich das letzte Stück Banane in den Mund, bevor er fragte: »Sind Sie eine Verwandte?«
»Nein, ist das wichtig? Wie Sie auf dem Formular sehen, bin ich aus Deutschland.«
Er zuckte mit den Schultern. »Einige Samoaner haben Vorfahren in Deutschland.«
»Sehe ich aus wie ein Vorfahr?«, fragte sie spitz. Sie wurde ungeduldig. Im Papaya-Palast lag eine Leiche, Ane war verstört und Ili verschwunden, und sie diskutierte mit einem Polizisten über Abstammung.
»Ich wohne bei den Valaisis«, ergänzte sie.
»Touristin also?«
Sie atmete tief durch. »Wenn Sie es so ausdrücken wollen, dann bitte. Was passiert jetzt?«
Er leckte sich die Finger ab. »Sagte ich schon. Wir schicken jemanden.«
»Dann formuliere ich meine Frage anders: Was passiert jetzt ?«
Der Polizist verzog das Gesicht wie zu einer hundertmal gehörten Geschichte, stemmte sich von seinem Sitz hoch und sagte: »Moment, ich sag’s dem Chef.« Er schlurfte in das Büro nebenan. Aus dem Gespräch mit einem anderen Polizisten, das auf Samoanisch geführt wurde, hörte Evelyn nur den Namen Moana heraus. Dann endlich betrat der andere Polizist das Zimmer, ein drahtiger Mann mit dünnem Oberlippenbart, und in dem Augenblick wurde Evelyn bewusst, dass sie sozusagen dem Nach-Nachfolger Tristans gegenüberstand.
»Ich bin Leutnant Malu, der Polizeichef von Savaii. Sie sind mit dem Wagen hier? Und können fahren? Ganz sicher? Gut, dann kommen Sie bitte mit.«
Er ging mit ihr nach draußen. »Verzeihen Sie«, sagte er. »Die samoanische Gemütsart liegt nicht jedem.«
»Oh, bisher fand ich sie sehr ansprechend. Nur – in einem solchen Fall …«
»Ich verstehe schon. Haben Sie etwas dagegen, dass wir mit Ihrem Wagen zum Papaya-Palast fahren? Inzwischen ruft mein Kollege den nächsten Arzt an. Einverstanden?«
Sie nickte.
Leutnant Malu bot ihr an, den Wagen selbst zu steuern,
doch sie fühlte sich sicher genug und lehnte dankend ab. Trotzdem saß er die ganze Strecke über ziemlich verkrampft auf dem Beifahrersitz und behielt entweder die Straße oder ihre Hände am Lenkrad im Auge. Sie hatte eine Leiche gefunden, was ihr zweifellos nicht jeden Tag widerfuhr, außerdem roch ihre Kleidung noch nach dem Champagner von gestern. Kein Wunder also, dass er ihren Fahrkünsten nicht traute, obwohl sie weder schnell noch unsicher fuhr.
Seine Anspannung machte sie nervös, und um ihn aufzulockern, begann sie ein Gespräch.
»Sie kannten Moana?«, fragte sie.
Er ließ die Straße nicht aus den Augen. »Ja, Mrs. Braams, ich kenne die ganze Familie. Man kann sogar sagen, ich bin mit ihr aufgewachsen. Mein Urgroßvater gehörte zu den Arbeitern, die den Papaya-Palast bauten, mein Großvater und mein Vater arbeiteten während der Ernte auf der Plantage, und ich selbst hatte verschiedene Male dienstlich mit ihnen zu … Passen Sie auf das Taxi von links auf. Auf Samoa sind Taxifahrer unberechenbar. Hupen Sie mal.«
Sie hupte, und er streckte den Arm aus dem Fenster und mahnte den Taxifahrer mit erhobenem Zeigefinger. Dann lachte er, und sie winkten sich freundschaftlich zu.
»Wo war ich stehen geblieben?«
»Sie sagten, Sie hätten dienstlich mit den Valaisis zu tun gehabt.«
»Das letzte Mal vor ein paar Tagen«, nahm er den Faden wieder auf. »Wegen des Brandes. Sie waren dabei, richtig? Haben beim Löschen geholfen? Tja, es war Brandstiftung, so viel steht fest.«
»Wir haben so unsere Vermutungen, wer dahinter steckt«, orakelte sie.
»Nur, dass Vermutungen uns nicht weiterhelfen, Mrs. Braams, so wenig wie beim Brand vor elf Jahren.«
»Atonios Tod«, bestätigte sie.
»Sie wissen davon?«, fragte er neugierig und ließ die Fahrbahn für einen
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