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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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wir ganz schön blöd aus. So ein riesiges Stück Land, und wir pflanzen eine Papaya nach der anderen.«
    »Was willst du tun?«
    »Mangos pflanzen.«
    »Wenn der Markt für Papayas einbricht, bricht auch der für Mangos ein.«

    »Mein Gott«, sagte er ungeduldig, »dann eben Ananas, Topinambur, Kakao, was weiß ich!«
    »Das braucht alles sehr viel Platz, Atonio, und außerdem …«
    »Viel Platz, viel Platz«, äffte er sie nach. »Uns gehört genug Wald.«
    »Schneisen willst du in den Wald schlagen?«
    »Na und? Bist du mit dem Wald verheiratet, oder wie?«
    »Gewissermaßen, ja! Wir leben vom Wald. Er ist unser Kapital, er ernährt uns. Was meinst du, wo die Tauben, Hühner und Schweine leben, die du isst?«
    »Dann halten wir sie eben in Pferchen.«
    »Warum, wenn es auch so geht?«
    »So geht es aber nicht«, sagte er gereizt. »Du unterbindest jeden Fortschritt, merkst du das eigentlich? Alles wird von dir bestimmt, und wehe, ich habe mal eine eigene Idee.«
    »Also, das stimmt doch nicht!«
    »Du handelst alles aus, du entscheidest, an wen wir wie viel verkaufen, du, du, du. Und ich darf die Drecksarbeit machen.«
    Sie stritten noch eine Weile, und dann willigte Ili gegen ihre Überzeugung ein, dass Atonio ein Stück des Waldes schlagen und darauf anbauen dürfe, was er für richtig halte.
    Er entschied sich für Kakao, was große Investitionen erforderte, und das Geld dafür lieh er sich von Moana und Ili. Riesige Bäume mussten gefällt und die Wurzeln ausgegraben werden. Maschinen pflügten das Land um und verwandelten es in eine Ödnis, auf der die Kakaobäume gepflanzt und aufwändig gepflegt wurden. Auch die Ernte und Nachbereitung war außerordentlich arbeitsintensiv. Bald brauchte Atonio weiteres Geld, und dann im Jahresabstand mehr und mehr. Machte Ili eine kritische Bemerkung, ging er gleich in die Luft, und die Konditionen, die
sie für seine Kakaobohnen aushandelte, waren ihm nie gut genug. Dass der Kakao ein Verlustgeschäft war, wollte er nicht wahrhaben, stattdessen schob er die Schuld auf sie. Bestenfalls redeten sie noch in einem gleichmütigen Ton miteinander, die meiste Zeit allerdings stritten sie.
    Als niemand mehr damit rechnete, bekam Taiata 1984 eine gesunde Tochter. Die Kakao-Ernte war gerade im Gang, und Ili lief in Atonios Pflanzung, um ihm die gute Nachricht zu überbringen.
    Er jedoch arbeitete weiter, als hätte sie chinesisch mit ihm gesprochen.
    »Hast du mich nicht verstanden?«, rief sie zu ihm die Leiter hinauf. »Das Mädchen ist gesund.«
    »Es wird sterben wie die anderen.«
    »Das wird es nicht. Es sieht ganz anders aus und atmet gleichmäßig.«
    »Ich kann hier nicht weg.«
    »Nun lass für eine Stunde die dummen Bohnen und geh zu deiner Familie. Nachher kannst du ja weitermachen.«
    Ili konnte die Unsicherheit, ja, Angst in seinen Augen sehen, als er von der Leiter stieg. Er lehnte es ab vorauszulaufen, sondern trottete widerwillig neben Ili her. Sogar vor dem Haus zögerte er noch und bat sie, vor ihm hineinzugehen, so sehr fürchtete er sich davor, das sechste kalte Kind auf dem Friedhof beerdigen zu müssen.
    Aber wie groß war seine Freude, als er ein zappelndes, spuckendes Mädchen in den Armen hielt. Binnen Minuten verzog sich die Wolke, die jahrelang über ihm gehangen hatte, und er strahlte wie in früheren Zeiten.
    An diesem Tag waren sie zum letzten Mal alle beisammen: Moana, Atonio und Ili umstanden Taiatas Bett. Ben Opalani kam vorbei, der irgendwie schon zur Familie gehörte, und feierte mit ihnen. Sie lachten und tranken, wiegten das Kind, das sie Ane nennen wollten, und beobachteten,
wie der Nachmittag mit orangerotem Leuchten in die Nacht stürzte.
    Taiata starb in dieser Nacht. Und Atonios zorniger, anklagender Schrei durchbrach die Stille.

11
    Samoa, November 2005
     
    Ein gellender Schrei durchbrach die Stille.
    Evelyn schreckte aus dem Schlaf, sah sich um. Sie lag allein in ihrem Bett, noch immer bekleidet mit der roten Seidenbluse, die sie für den Abend mit Carsten angezogen hatte. Die weiße Jeans war sorgfältig über den Stuhl gelegt worden, die Schuhe standen neben dem Bett. Auf der Anrichte tickte leise die Armbanduhr, draußen piepten ein paar Vögel, alles war still und friedlich.
    Mein Gott, dachte sie, ich habe geträumt. Ich träume tatsächlich von den Schreien Atonios, die ich nie selbst gehört habe.
    Sie fasste sich mit beiden Händen an die Stirn. Alle drei Sekunden zuckte ein kurzer, energischer Schmerz wie ein Blitz durch

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