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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Geräusche. Als Kind hatten die Glockenschläge ihr die Mittagszeit angezeigt, wenn sie zwischen den Papayas spielte, und zur Dämmerung hatten sie sechsmal gemahnt, endlich nach Hause zu gehen. Natürlich hatte sie manchmal getrödelt, und wenn ihre Mutter sie dann fragend ansah, entschuldigte sie sich, indem sie einfach behauptete, die Glocken nicht gehört zu haben. Tuila hatte dann stets gelächelt, auf eine Weise, die alles ausdrückte, was Mütter für ihre Kinder empfinden können.
    Ili lehnte sich gegen eine Papaya, fuhr mit der Handfläche über ihren Stamm und fühlte die glatte, warme, duftende Rinde.
    In der Luft lagen zwölf helle Glockenschläge, die gleichen, mit denen so viele angenehme Erinnerungen verbunden waren.
    Der letzte Klang erstarb. Das Land gehörte nicht mehr ihr.
    Ili spürte einen Schmerz in der Brust, sanfter und umfassender als neulich, als sie auf dem Pfad zusammengebrochen war, beinahe so, als würde eine riesige Hand sie umklammern und forttragen.
    Sie hielt sich an der Papaya fest und presste ihre Wange an das Holz.
    Und dann sah sie Ane zwischen den grünen Stämmen auftauchen.

     
    »Ernsthafte Bedenken«, zischte Raymond.
    Seine Faust schloss sich so fest um das kleine Handy, dass die Knöchel weiß wurden.
    Verdammter Europäer. Er hatte schon immer gewusst, dass Europäer Hasenfüße waren, und er hatte gleich gespürt, dass dieser Braams ein besonderes Exemplar dieser Gattung war. »Ernsthafte Bedenken«, hatte dieser Wichtigtuer mit dem aristokratischen Gehabe plötzlich der Bank gemeldet. Ernsthafte Bedenken wegen der Rückzahlung des Kredits, ernsthafte Bedenken, ob die Investitionen von Kettner’s Wood auf Samoa im Sinne einer langfristigen und nachhaltigen Finanzpolitik des Inselstaates – und damit auch der United Trade and Commerce Bank  – seien, ernsthafte Bedenken wegen der Seriosität von Raymond Kettner selbst.
    Der Angestellte am anderen Ende der Leitung hatte sich Mühe gegeben, den telefonischen Bericht, den Carsten Braams dort abgegeben hatte, Raymond gegenüber in ein diplomatisches Gewand zu kleiden, aber nüchtern betrachtet bedeutete das nichts anderes als: Wir glauben nicht mehr, dass wir mit Ihnen weiterhin zu tun haben wollen.
    »Das ist mir scheißegal!«, hatte Raymond dem Mann mit dem dünnen Stimmchen über zehntausend Meilen hinweg zugerufen. Seine Wyoming-Direktheit war mit ihm durchgegangen, und er hatte gebrüllt: »Sie haben meinen Kredit schon bewilligt, und was anderes als Geld will ich sowieso nicht von Ihnen! Am allerwenigsten Wertschätzung! Die können Sie sich sonstwohin klemmen!«
    »Mr. Kettner, wir werden nochmals mit der samoanischen Regierung über Ihren Fall diskutieren, und sind ziemlich sicher, übereinstimmend zu dem Schluss zu kommen, dass …«
    Raymond hatte aufgelegt.
    Was hätte es gebracht, länger mit diesem Wicht zu sprechen?,
dachte er. Ich habe mein Geld von ihnen bereits, und den Kredit können sie mir frühestens in vier Jahren kündigen. Bis dahin befinden sich die Bäume längst als Sitzmöbel in hübschen Gärten, und die Banken werden bei mir Schlange stehen.
    Selbst auf die Unterstützung der samoanischen Regierung konnte er verzichten. Natürlich nur, wenn …
    Mal angenommen, dachte er, und brach die Überlegung gleich wieder ab.
    Hektisch trank er einen Whiskey.
    Der Gedanke kam zurück: Hast du denn eine Wahl? Dein ganzes Geld, ein Vermögen, steckt in diesem Geschäft, und mehr noch, deine Zukunft. Du bist erledigt, wenn du dieses alte Weib nicht dazu zwingst , an dich zu verkaufen. Und wenn sie nicht will …
    Er dachte an Ane und ihre Gier. Sie würde ihm das Land verkaufen.
    Er trank noch einen weiteren Whiskey.
    Dann verließ er das Hotelzimmer.
     
    Evelyn konnte noch immer nicht glauben, dass sie das alles vorhin gesagt hatte. Und dass sie Carsten verlieren würde.
    Sie stand im Garten des Papaya-Palastes, den Blick auf das Haus und die orangefarbenen Bougainvilleen gerichtet, und versuchte, sich an ihre Worte zu erinnern.
    »Das heißt«, hatte sie gesagt, »dass ich hier auf Samoa bleiben werde. Für immer.«
    Sie war sich bewusst gewesen, was dieser Satz bedeutete, welche Änderung ihres Lebens er beinhaltete. Vielleicht würde sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können, vielleicht würden Freundschaften in die Brüche gehen, vielleicht würde sie nur noch vier- oder fünfmal in ihrem Leben ihre Eltern wiedersehen, vielleicht würde sie schreckliches Heimweh bekommen, das raschelnde

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