Der Duft der grünen Papaya
geht immer so weiter, und da Tropenbäume äußerst langsam nachwachsen, ist die Insel in zwanzig Jahren kahl. Natürlich möchte es die samoanische Regierung so weit nicht kommen lassen, daher wird sie in sechs, sieben Jahren die Notbremse ziehen wollen. Doch das wird die Bauern nicht interessieren. Sie werden, weil sie dann gar keine andere Wahl mehr haben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, die Waldstücke heimlich in Brand setzen und anschließend aufkaufen – damit sie zumindest zwei weitere Jahre Kaffee anpflanzen können. So läuft es in Brasilien, Guatemala, Kolumbien, überall dort, wo Tropenwälder stehen und Kaffee angebaut wird. Wenn dann irgendwann gar nichts
mehr geht, wird man den Samoanern zynisch empfehlen, Rinderherden zu halten. Die gleichen Menschen also, die zwanzig Jahre vorher sehr gut auf und von ihrem Land gelebt haben, treiben dann Kühe über eine verödete Landschaft, nur um ein bisschen Geld zu verdienen, das sie brauchen, um sich Lebensmittel im Supermarkt zu kaufen. Das, Carsten, ist in meinen Augen geradezu pervers.«
Er schwieg einen Atemzug lang. »Woher weißt du denn das alles?«
»Ich war im einzigen Internet-Café von Apia und habe ein wenig recherchiert. Viele Umweltorganisationen haben detailliert nachgewiesen … »
Er wiegte skeptisch den Kopf. »Ich finde, die übertreiben. So ist das nun einmal im Handel.«
»Nein«, widersprach sie entschieden. »Handel ist, wenn man in Maßen nimmt und gleichwertig zurückgibt. Wer wie ein Raubritter von Land zu Land zieht und Schätze plündert, legal oder nicht, betreibt Ausbeutung. Siebzig Prozent der Regenwälder Südostasiens sind bereits gerodet, und jedes Jahr kommt allein in Indonesien eine Fläche von der Größe der Niederlande hinzu. Wenn Ray Kettner in Samoa Erfolg hat, wird er weiter nach Fiji ziehen, auf die Salomonen und so weiter. Er wird dabei eine Spur der Korruption hinterlassen, denn in seinem Geschäft wird ordentlich geschmiert, und in dieser Spur werden andere Konzerne ihren Erfolg suchen, riesige japanische Fischflotten und Walfänger zum Beispiel. Ein paar Inseln werden für den Tourismus verschont, um uns in Katalogen eine heile Welt zu zeigen, wie man das bereits in Indonesien, Malaysia, Brasilien und so weiter macht. Aber die anderen werden …«
»Evelyn, bitte«, sagte er mühsam. »Wohin soll uns das bringen? Besser, wir reden nicht länger darüber.«
»So wie wir vier Jahre lang nicht über Julia geredet haben?«
»Das ist nicht dasselbe!«, rief er erregt.
»Nein, das ist es nicht. Aber es ist etwas Ähnliches, denn es würde zwischen uns stehen, Carsten.«
»Ich verstehe nicht, wieso.«
Sie löste sich mit sanfter Gewalt aus seiner Umarmung. »Es würde zwischen uns stehen«, wiederholte sie. »Vorhin sagte ich, dass ich hier in etwas hineingeraten bin, aber eigentlich, Carsten, müsste ich wir sagen. Du bist ebenso Teil dieser Angelegenheit wie ich, ob es uns nun passt oder nicht. Wir können nicht so tun , als würde es Ili und Kettner und das Land nicht geben. Wir sind mittendrin.«
Er seufzte. »Ich kann Raymond Kettner genauso wenig leiden wie du, aber …«
»Das ist doch schon ein Anfang.«
»… aber er ist Kunde meiner Bank, versteh das doch.«
»Dann solltest du das ändern.«
»Wie bitte?«
»Carsten, ich habe dir vorhin ganz offen gesagt, wie sehr ich für uns einen Neuanfang wünsche. Aber das Leben ist keine Schiefertafel, über die man mit einem feuchten Lappen fährt und alles auslöschen kann, was bereits geschrieben wurde. Wir sind durch die Hölle gegangen, haben uns versteckt, haben uns verloren … Wir sind andere Menschen geworden, also müssen wir auch ein anderes Leben führen, sonst wird es nicht funktionieren, nicht für mich. Ich kämpfe um dich, siehst du das nicht? Aber du musst auch um mich kämpfen!«
Er starrte sie fragend an, und Evelyn konnte förmlich die Rädchen hören, die sich in seinem Kopf zu drehen begannen.
»Was heißt das?« In seiner Frage schien bereits ein Verdacht zu liegen.
Ein Windhauch strich über das Plateau und trug die harzige Feuchtigkeit der Bäume mit sich.
»Das heißt«, sagte sie, »dass ich hier auf Samoa bleiben werde. Für immer.«
An Tagen wie heute, an denen der Wind nicht vom Meer her blies, konnte man in der Plantage die fernen Glocken der Kirche von Palauli hören, zarte, zerbrechliche Klänge, die vom geringsten Rauschen des Blattwerks übertönt werden konnten. Ili liebte dieses Spiel der
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