Der Duft der grünen Papaya
fühlte und dachte Tristan nur noch für sich allein, und so kam es, dass er seine Umwelt mit dem, was er tat – oder nicht tat –, immer wieder überraschte. Mit dreizehn begann er, den Pächtern bei der Apfelernte oder dem Heuen zu helfen, doch wenn er dann mit schmutzigem Hemd und Stroh im Haar ins Schloss zurückkam, schüttelte sein Vater nur den Kopf.
»Wie ein Bauer«, sagte der Graf und wandte sich ab.
Mit sechzehn weigerte Tristan sich, an den Jagdgesellschaften auf Arnsberg teilzunehmen, die die westfälischen Wälder mit Schrotkugeln durchsiebten und die Leiber von Hirschen, Rehen und Wildschweinen zerfetzten. Sein Vater ließ das nicht gelten: »Das wäre ja noch schöner, du willst unsere Familie wohl zum Gespött machen!« Der Graf zerrte ihn mit auf die Jagd, und als Tristan vor einem Dutzend erlegter Feldhasen stand, übergab er sich.
»Gut, dass du nicht mein Ältester bist«, sagte der Graf.
Mit neunzehn beschloss Tristan, Önologie zu studieren, um dem gräflichen Besitz einmal ein Weingut hinzuzufügen. Als er seine Entscheidung bekannt gab, rief sein Vater verächtlich: »Bauer willst du werden? Unseren Namen gewöhnlich machen? Das kommt nicht in Frage.«
Dass es doch so kam, war Siegfried zu verdanken, der noch vor seiner Abreise nach Deutsch-Südwestafrika ein gutes Wort für Tristan einlegte und ihm so das gewünschte Studium in Mainz ermöglichte.
»Gut, dass du nicht der Älteste bist«, waren die Abschiedsworte, die Tristan von seinem Vater gesagt bekam, bevor er nach Mainz ging. Dass sein Vater ihn wie einen Schandfleck ansah, verletzte Tristan tief, und je mehr Ruhm Siegfried dem Namen der Arnsbergs anheftete, desto banaler erschien das, was Tristan erreichte. Sein erfolgreiches
Studium, der Aufbau eines kleinen Weingutes – das alles wog nichts im Vergleich zu Siegfrieds Karriere. Er begann, eifersüchtig auf seinen Bruder zu werden, doch bevor sich dieses Gefühl voll entwickeln konnte, passierte etwas Schreckliches.
Das Telegramm, das ihrer aller Leben veränderte, schlug wie ein Blitz ein: Siegfried war im Kampf gegen die Hereros in der Schlacht von Waterberg gefallen. Sein Leichnam war irgendwo in den Weiten des kargen Landes beerdigt worden.
Wochenlang sprach Tristans Vater fast nichts, seine Mutter schluchzte unentwegt. Ein Mantel aus Verzweiflung und Verbitterung legte sich über Schloss Arnsberg, und Tristan war hin und her gerissen, zu gehen oder zu bleiben. Er spürte, dass etwas in der Luft lag, und wusste, dass er diesem Etwas nicht ausweichen konnte, egal, was er tat. Eines Tages war es so weit: Der Graf eröffnete ihm, kurz und präzise und mit der Haltung einer Marmorstatue, dass er, Tristan, als nunmehr Ältester alle Rechte und Pflichten zu übernehmen habe.
»Du wirst auf die Militärschule gehen. Du wirst Offizier werden, im Überseekorps. Dein Bruder hat so viel Wertschätzung erworben, dass dir niemand diesen Anspruch aberkennen wird. Du wirst werden wie er. Du wirst uns Ehre machen.« Dann schränkte er mit gesenktem Blick ein: »Zumindest wirst du dich nach Kräften bemühen.«
Tristan sträubte sich nach außen hin überhaupt nicht und innerlich nur kurz. Siegfried hatte ihm das Studium möglich gemacht, er war ihm etwas schuldig. Weit schwerer noch wogen die Jahrhunderte der Tradition auf Tristans Schultern, auf ihm, dem plötzlich Ältesten, und sich den Hoffnungen und Erwartungen seiner Eltern zu entziehen, das wagte er nicht. Er warf, ohne lange nachzudenken, alles hin, was ihm in den letzten Jahren etwas bedeutet
hatte – das Weingut, die Arbeit mit Pflanzen, die Bücher, die Liebe zum ungezwungenen Leben –, und trat in die Fußstapfen Siegfrieds. Er biss sich durch wie man sich durch einen Dschungel aus Sumpf und Moder kämpft, mit zusammengebissenen Zähnen und einer Menge Abscheu. Überraschend gut überstand er die Militärschule, sogar derart eindrucksvoll, dass der Graf das Zeugnis mit zitternden Händen las und mehrmals schlucken musste, bevor er Tristan lobte. Es wäre eine Lüge zu behaupten, er habe keinen Stolz über die Worte seines Vaters verspürt, doch auf eine seltsame Weise, die er sich bis heute nicht erklären konnte, war er insgeheim zugleich wütend auf den Alten – und auf sich selbst. Das gleiche Gefühlsgemisch überraschte Tristan noch einmal beim Abschied. Seine Eltern hatten ihn bis Wilhelmshaven gebracht, wo er sich auf einen Kreuzer nach Samoa einschiffte, und dem Grafen bebte das Gesicht, als er die Hand
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