Der Duft der grünen Papaya
Gefühl bekommen, dass einer der beiden einzigen deutschen Offiziere in der Kolonie keiner von ihnen ist, beunruhigt sie das. Und was die Leute beunruhigt, muss auch mich beunruhigen, denn ich bin hier für alles verantwortlich. Wir haben hier eine gute Stimmung unter den Samoanern, weil wir alle uns hier sicher fühlen und ein schönes Leben haben. Wenn da einer aus der Reihe tanzt, sich absondert, hilft das keinem, am Ende auch nicht den Samoanern. Darum seien Sie ein bisschen geselliger, Arnsberg.«
Dr. Schultz sog kräftig an seiner Zigarre und sprach danach in milderem Ton. »Es ist ja nicht so, dass ich Sie nicht ein wenig verstehen könnte«, fuhr er, umwölkt von Rauch, fort. »Ich weiß, dass Sie aus gutem Hause kommen, altem westfälischem Adel. Ich kenne sogar Ihren Vater flüchtig, ein ehrenhafter, hochanständiger Mann, der sehr stolz darauf ist, dass Sie die Familientradition fortsetzen und Offizier geworden sind. Ursprünglich wollten Sie einen anderen Weg einschlagen, war es nicht so?«
Tristan erstarrte. »Ja, Exzellenz.«
»Sie wollten studieren.«
»Ich habe studiert.«
»Was war es noch?«
»Önologie. Weinanbau.«
Der Gouverneur nickte. »Ihre Familie besitzt Güter an der Mosel. Die wollten Sie auf Vordermann bringen, wie? Tja, doch dann gab es diesen Vorfall mit Ihrem …«
»Ja.« Tristan versteifte sich zusehends.
»Das hat Ihre Pläne über den Haufen geworfen. Gerne sind Sie daraufhin nicht zum Militär gegangen, nehme ich an.«
»Nun bin ich aber beim Militär, Exzellenz. Und ich erfülle meine Pflicht so gut wie jeder andere Offizier. Es gibt keinen Grund, an mir zu zweifeln.«
Dr. Schultz schien Tristans Erregung nicht zu entgehen.
»Gewiss, gewiss«, beruhigte er Tristan, während sich ein beinahe amüsiertes Lächeln über seine Lippen stahl. »Ihre Dienstpflicht erfüllen Sie einwandfrei, ja, ich gehe sogar so weit zu sagen, dass Sie sich besser in die Seele der Samoaner hineindenken können als Oberst Rassnitz, der zu lange in Deutsch-Afrika war und dort die harte Seite der Kolonialpolitik praktizieren durfte. Wir in Samoa handhaben die Dinge weicher, liberaler, und das scheint Ihnen zu liegen, Arnsberg. Dennoch: Die Aufgaben eines Kolonialoffiziers sind vielfältig, sie beziehen sich auch darauf, ein gesellschaftlicher Mittelpunkt zu sein, und dabei haben Sie Schwierigkeiten. Sie könnten einwenden, dass Sie für die derben Vergnügungen hierzulande weder erzogen noch ausgebildet wurden. Aber glauben Sie denn, ich? Ich bin ja eigentlich Akademiker, Jurist. Auch mir gehen die Herren manchmal etwas zu weit, nun denn, dann trinke ich eben etwas weniger als sie und halte mich mit dem Erzählen von Witzen zurück. Ein Schnaps hier und ein Lächeln dort, damit vergibt man sich doch nichts, oder, Arnsberg? Lassen Sie sich meine Worte durch den Kopf gehen.«
Dr. Schultz stand auf und signalisierte damit, dass er diesen Punkt für endgültig geklärt hielt. Er begleitete Tristan zur Tür und klopfte ihm zum Abschied zweimal auf die Schulter wie ein verständnisvoller Vater.
»Noch eins«, rief er ihn zurück, als Tristan schon im Gehen war. Er winkte ihn mit der Zigarre zu sich heran und gab die Distanz auf, die ein alter Gouverneur und ein junger
Leutnant normalerweise wahrten. Beinahe flüsterte er: »Was diese Samoanerin angeht, die Sie intim kennen: Viele Deutsche in der Kolonie nehmen sich eine einheimische Geliebte, dagegen ist gar nichts zu sagen. Und Sie, Arnsberg, sind sogar Junggeselle, da ist es doppelt begreiflich, wenn Sie sich auf diese Weise vergnügen. Niemand von den Herren wird gegenüber Fräulein Hanssen oder einer anderen Dame je ein Wort darüber verlieren. Das ist ein Kodex unter Ehrenmännern. Jedoch – ich sage Ihnen das jetzt, weil Sie noch nicht lange hier sind und weil ich es gut mit Ihnen meine: Mehr als ein Vergnügen darf diese Samoanerin für Sie nicht sein. Niemals! Seien Sie intim mit ihr, meinetwegen schätzen Sie sie hoch, und wenn Sie unvernünftig sein wollen, dürfen Sie sie sogar lieben. Doch dann ist Schluss. Höher kann sie nicht steigen, darf es nicht. Ich rate Ihnen also, sich an Fräulein Hanssen zu halten, was eine reguläre Bindung angeht. Der alte Hanssen ist der reichste Deutsche in der Südsee, Import-Export, sieben Dampfschiffe, drei Niederlassungen auf den Marianen, in Kaiser-Wilhelm-Land und hier auf Samoa. Dazu Geschäfte in Afrika. Was ihm noch fehlt, ist ein Sohn – oder Schwiegersohn –, der später einmal seine
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