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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Sonnenlicht wie polierte Bronze. Stolz stand er
auf und zeigte den Versammelten seine Tätowierungen, die sich in langen, gewundenen Strichen von den Fußknöcheln bis zu den Oberschenkeln hinaufzogen. Sie waren noch nicht ganz getrocknet, doch Tupu ließ sich davon nicht stören und führte einen rasanten Tanz auf. Die Menge klatschte. Tristan klatschte mit. Er lachte. Mehr noch als die ausgelassene fiafia freute ihn, dass Tuila bedingungslos glücklich war, als sie sah, wie er sich von der Stimmung mitreißen ließ. Sie klatschten im gleichen Takt, lächelten sich zu, und er genoss es, ihren Kopf im Profil zu betrachten, das pechschwarze Haar, das weit über die Schultern flutete, die ebenmäßigen Gesichtszüge und den mit Blumengirlanden und Muschelketten geschmückten, schlanken Hals. Sie hatte über der Brust ein azurnes Tuch verknotet, das an den Knien endete und die knappen, quirligen Bewegungen ihrer Beine und kleinen Füße erkennen ließ, die Tupus Tanz nachahmten.
    Sie ist wunderschön, dachte Tristan in diesem Augenblick. Nicht nur äußerlich. Sie ist ausgefüllt mit Schönheit, sosehr, dass etwas von ihr langsam auch auf mich übergeht.
    Er nahm sie in die Arme und tat, was er noch nie in der Öffentlichkeit getan hatte: Er küsste sie. Umgeben von feiernden Menschen, die ihr Glück stets im Augenblick fanden, fiel es ihm leicht, ebenfalls glücklich zu sein, ja, in diesem Moment hatte er das Gefühl, zum ersten Mal überhaupt glücklich zu sein.
    Ein Pistolenschuss peitschte durch die Luft, und die Menge um Tristan und Tuila zuckte zusammen und drängte zurück.
    Oberst Rassnitz blickte von seinem Pferd aus auf die Leute hinunter. Mit seinem gewachsten Oberlippenbart, der Pickelhaube und dem überlegenen Gesichtsausdruck sah er aus wie eine der Fotografien Kaiser Wilhelms II., die in jeder Amtsstube hingen.

    »Was ist hier los?«, schrie er.
    Da keiner der Samoaner vortrat, um dem Oberst zu antworten, übernahm Tristan diese Aufgabe. Er nahm Haltung an und berichtete: »Herr Oberst, ich melde: Eine fiafia ist im Gange.«
    »Hören Sie auf, dieses unverständliche samoanische Kauderwelsch zu reden, Leutnant.«
    »Eine Jungmannzeremonie, Herr Oberst. Ein Junge wird dabei durch bestimmte …«
    »Ich bin an Ritualen, die noch aus heidnischer Zeit stammen, nicht interessiert, Leutnant. Diese öffentliche Festivität ist nicht beantragt und daher auch nicht genehmigt worden. Sie ist illegal .«
    Oberst von Rassnitz’ Eigenart, verneinende und negativ besetzte Wörter zu betonen, kam voll zur Geltung. Tristan wusste, je deutlicher die Betonungen ausfielen, desto aufgeregter und gefährlicher war sein Vorgesetzter.
    »Ich bitte um Nachsicht, Herr Oberst. Es ist doch nur ein spontaner Ausdruck von Freude gewesen, der zu dieser Versammlung geführt hat. Es war doch stets unsere Politik in Samoa, großzügig mit …«
    »Großzügig! Spontan! Nachsicht!«, schrie Rassnitz. »Ich bin erstaunt, dass ein Offizier des deutschen Überseekorps solche Worte überhaupt in den Mund nimmt. Aber bei Ihnen sollte mich gar nichts mehr überraschen.«
    Er saß ab, ging an Tristan vorbei und stellte sich vor Tupu auf, der der erkennbare Mittelpunkt der Feier war.
    »Du«, sagte Rassnitz und tippte Tupu mit dem Finger auf die Brust. »Du wirst mir jetzt sofort erklären, was du dir dabei gedacht hast«, sagte er.
    Tupus Miene verfinsterte sich. Tristan kannte ihn als umgänglichen Burschen, der gerne in Wettbewerben mit Gleichaltrigen seine Fähigkeiten maß, ein großzügiger Gewinner und ein guter Verlierer, der nichts zu ernst nahm.
Doch heute war der wichtigste Tag seines Lebens. Nach der Art, wie er die Jungmannzeremonie hinter sich gebracht hatte, würde er noch in zehn und zwanzig Jahren beurteilt werden. Sein gesellschaftlicher Aufstieg, seine Würde, seine Chance, eines Tages Dorferster zu werden, hing davon ab, ob er an diesem Tag die Tätowierungen klaglos überstand, ob er seinen Tanz gut absolvierte und – ob er sich unvorhergesehenen Situationen und Herausforderungen stellte. Nachgiebigkeit und Demut konnte er sich heute nicht leisten.
    Tristan versuchte, die Wogen zu glätten. »Herr Oberst, ich werde dafür sorgen, dass die Zeremonie an einem anderen Ort …«
    Rassnitz wandte seinen hochroten Kopf Tristan zu. Sein Gesicht glich einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch, als er bemüht leise sagte: »Sie werden ab jetzt nichts mehr sagen, Leutnant von Arnsberg. Wenn Sie auch nur noch einen Ton von sich geben,

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