Der Duft der grünen Papaya
auf Tristans Schulter klatschte und sagte: »Du bist meine ganze Hoffnung, und ich weiß, du wirst mich nicht enttäuschen.«
Tristan wollte auch jetzt noch auf Samoa dem gerecht werden, was man seit seines Bruders Tod als seine Pflicht ansah, aber gleichzeitig hasste er es.
Als er in die Nähe des Hafens von Apia kam, hörte er die Trommeln, die so typisch waren für Samoa. Vier, fünf verschiedene Klanghöhen wirbelten umeinander, helle, dunkle, dumpfe, jagende Töne, bei denen die Herzen schneller schlugen. Selbst den Weißen ging das stets so, den papalagi , wie sie hier hießen. Es war, als würde das Dröhnen der Trommeln ihre alten, wilden, längst verloren geglaubten Instinkte hervorlocken. Niemand konnte sich diesem Rhythmus entziehen. Die Samoaner lebten ihre Gefühle in den verschiedenen Tänzen und Ritualen aus, die sie sich erhalten hatten, aber für die Deutschen und anderen Weißen gab es diese Möglichkeit nicht. Den Damen wurde
heiß, wenn sie diese Musik hörten, und den Männern trieb sie einen seltsamen Glanz in die Augen. Tristan war sich sicher, dass die meisten von ihnen in solchen Momenten eifersüchtig auf die Samoaner waren – er selbst war es. Aber nicht nur in solchen Momenten. Die Fröhlichkeit der Insulaner, ihre zahlreichen Spiele, Fahrten und Vergnügungen, die heiteren Tänze und Gesänge und Gastmahle unter freiem Himmel machten sie für ihn zu beneidenswerten Menschen. Er konnte sich kein lebendigeres Volk vorstellen.
Einen Grund zu feiern fanden Samoaner immer, und sei es der Vollmond. Fiafia , hieß das Wort, das die Samoaner für jedes Fest, gleich welches, benutzten, und es setzte sofort ungeahnte Menschenmengen in Bewegung. Als Tristan näher zum Hafen kam, erkannte er, dass es heute eine Jungmannzeremonie war, die so viele Leute zum Hafen getrieben hatte. Jemand wurde in den Kreis der Männer aufgenommen, für einen Jungen der wichtigste Tag in seinem Leben.
Tristan stellte sich zu den Zuschauern, die die Trommler und Beteiligten umgaben, aber vor lauter Köpfen konnte er kaum etwas sehen. Offenbar tanzte noch niemand zur Musik, was bedeutete, dass der Jungmann sich noch der schmerzhaften Prozedur des Tätowierens seiner Beine unterzog.
Plötzlich sah er Tuila in der Menge, und sofort glitt ein Lächeln über sein Gesicht. Er schob sich bis zu ihr vor und berührte sie zaghaft an den Schultern. Sie drehte sich um und strahlte.
»Tristan!«, rief sie freudig und fiel ihm um den Hals. Sie drückte ihre Gefühle immer sofort und direkt aus.
»Du kannst ja plötzlich meinen Namen richtig aussprechen«, fiel ihm auf. Bisher hatte sie ihn entweder »Tistan« oder »Tlistan« genannt, da die Samoaner kein »r« kannten.
»Ich habe den ganzen Morgen geübt.« Sie nahm sein Gesicht
in beide Hände und berührte seine Nase mit ihrer. Dabei blickte sie ihm tief in die Augen, so als könne sie darin lesen. »Fa’apefea mai oe? «, fragte sie.
»Lelei . Gut.«
»Gar nicht gut«, widersprach sie ihm. »Du hattest keinen schönen Tag, das kann ich sehen. Müde bist du. Dabei ist heute doch der Geburtstag deines Königs.«
»Kaisers«, korrigierte er sanft und seufzte. »Du hast Recht, es war kein guter Tag. Aber ab jetzt ist er es wieder. Ich bin froh, dass du da bist, Tuila.«
Sie kicherte wie meistens, wenn er auf seine europäische, umständliche Weise versuchte, Liebe mit Worten auszudrücken. Er kam sich dann ziemlich dumm vor, trotzdem fiel es ihm weiterhin schwer, damit aufzuhören. Sobald er allein mit Tuila war, fühlte er sich beinahe schon wie ein Samoaner, weil er alle anerzogene Zurückhaltung und komplizierte Höflichkeit zusammen mit seiner Uniform ablegte und sich gab, wie er wollte. Doch kaum kam ein Dritter hinzu oder wie hier eine ganze Menschenmenge, war er sofort wieder Deutscher, und er musste sich überwinden, um Tuila auch weiterhin mit Gesten und Berührungen die Nähe und Liebe zu zeigen, die er empfand. Dann verhielt er sich, wie er meinte, so, wie ein Offizier, ein Arnsberg, sich verhalten musste.
»Bist du wegen Tupu gekommen?«, fragte Tuila.
Jetzt erst bemerkte Tristan, dass der Jungmann in der Mitte des Kreises, der die letzten Stiche der Tätowierung abwartete, Tupu war, Tuilas Bruder.
»Nein. Ich wollte mit dem Polizeiboot nach Savaii übersetzen und bin nur zufällig hier. Er sieht respektabel aus, dein Bruder.«
Tupu war tatsächlich ein prächtiger Anblick. Er war gut gewachsen, und sein mit Kokosöl gesalbter Körper schimmerte im
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