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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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und sei es ein Husten, sind Sie erledigt .«
    Tristan schluckte. Er schwieg.
    Rassnitz wandte sich wieder an Tupu. »Also?«
    »Ich muss das nicht erklären«, sagte Tupu. »Diese Zeremonie ist Brauch seit vielen Sommern und Wintern, lange bevor die papalagi hierher gekommen sind. Ihr solltet euch lieber freuen, dass ich am Geburtstag eures Königs feiere.«
    »Er ist Kaiser, du hirnloser Wilder. Und sein Geburtstag ist heilig. Du entweihst den Ehrentag Seiner Majestät, wenn du obszöne Tänze aufführst. Du wirst daher deine lächerliche Zeremonie auf morgen verschieben, und du wirst sie nicht am Hafen abhalten, wo wir sie sehen können, sondern irgendwo im Busch, wo ihr sowieso hingehört. Ist das klar?«
    Tupu verzog keine Miene. »Ich werde die Zeremonie zu Ende bringen. Hier und jetzt.«

    Rassnitz’ Schlag kam so plötzlich wie ein Pistolenschuss aus der Hüfte. Tupu fiel zu Boden, doch Rassnitz setzte nach, zog seinen Degen, ritzte Tupus Haut am Oberarm ein und drückte ihm seinen Stiefel ins Gesicht. Tristan wollte eingreifen, aber was hätte er tun können? Rassnitz, seinen Vorgesetzten, anfassen? Das konnte Kriegsgericht bedeuten. Tupu auf die Beine helfen? Das hätte dieser ihm verübelt. Jede Hilfe, die Tupu jetzt bekäme, würde ihm in seinem Ansehen nur schaden. Tristan blickte zu Tuila. Sie schüttelte leicht mit dem Kopf, zum Zeichen, dass er tatsächlich nichts tun durfte.
    Rassnitz trat Tupu, der noch am Boden lag, in den Unterleib. Tupu krümmte sich, doch kein Laut kam über seine Lippen. Diese eine Blöße wenigstens wollte er sich nicht geben.
    Endlich schien der Oberst mit seinem Werk zufrieden.
    »Leutnant«, sagte er in einem Ton, als sei nichts geschehen. »Sie lösen jetzt die Versammlung auf. Und dann fahren Sie nach Savaii. Wir sehen uns in ein paar Tagen zur Wochenbesprechung, wie immer.«
    Er grüßte nachlässig und bemerkte nicht, dass Tristan den Gruß nur halbherzig erwiderte. Wenige Augenblicke später war er fort, und nun strömten auch die Samoaner stumm in alle Richtungen davon, bis nur noch Tristan, Tuila und Tupu übrig blieben.
    Tristan bückte sich zu Tupu hinunter und reichte ihm die Hand. Er wollte ein Zeichen setzen, dass er sein Freund war und verabscheute, was Rassnitz getan hatte.
    »Auch ein Mann«, sagte er, »darf sich helfen lassen.«
    Tristan war erleichtert, dass Tupu die Hand nahm. Aber er bemerkte auch den veränderten Ausdruck in Tupus Gesicht. Es war, als habe Tupu mit dem heutigen Tag nicht nur seine Kindheit hinter sich gelassen, sondern auch die Leichtigkeit, die dazugehörte. Etwas Neues war in sein Leben
getreten, eine Eigenschaft, die bisher noch niemand an ihm gesehen hatte und die vielleicht nie ausgebrochen wäre, wäre die letzte Viertelstunde anders verlaufen: der Zorn.
     
    Sie fuhren mit der tuckernden Barkasse Richtung Savaii. Tupu brütete stumm vor sich hin, während Tuila sich an seine Schulter lehnte und ein Lied summte, das Tristan bekannt vorkam. Im Gegensatz zu ihrem Bruder sah sie nicht wütend aus, auch nicht bekümmert. Sie hatte den Vorfall vermutlich schon vergessen. Es war nicht ihre Art, den Dingen nachzuhängen, zu grübeln, sich Fragen zur Vergangenheit zu stellen und die Schatten eines Lebens zu suchen, und Ehrgeiz und Konkurrenz gehörten ebenso wenig zu ihrer Begriffswelt. Leicht und geschwind wie ein Schmetterling fand sie das Schöne und bezog daraus ihre Kraft. Während des Tages erfreute sie sich an tausend kleinen Dingen, ganz still für sich, nur an einem kurzen Lächeln oder einem zufriedenen Blinzeln zu bemerken. Ganz selten wies sie andere darauf hin, was ihnen alles entging, etwa wenn sie mit Tristan kurz nach Sonnenuntergang spazieren ging, ihn bei irgendetwas unterbrach und sagte: »Hörst du den Nachtvogel? Nicht den Gesang, seine Schwingen. Hörst du sie?« Und keine drei Sekunden später rauschte über ihnen ein einzelner Vogel mit schwerem Flügelschlag durch die blaue, tropische Nacht.
    An solchen Abenden liebte Tristan sie noch ein wenig mehr.
    Tuila schmiegte sich jetzt noch enger an Tupu, so als wolle sie seine negativen Gefühle aufsaugen und in ihrem eigenen Körper neutralisieren. Er ließ sich darauf ein und legte ihr die Arme um den Bauch, stützte seinen Kopf auf ihren und pustete eine Strähne, die ihn an der Nase kitzelte, sacht weg. So wie sie da beieinander saßen, hätten sie
auch ein Liebespaar sein können, ja, Tristan war etwas eifersüchtig auf die innige Beziehung, die sie zueinander

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