Der Duft der grünen Papaya
auch ganz offen mit ihm in der Lounge oder dem Speiseraum sitzen. Raymond schämte sich ihrer nicht und war großzügig. Schon vor ihm hatten etliche Männer sie schön genannt, aber er war der Einzige, der ihr zutraute, auch etwas aus ihrer Schönheit zu machen. Er machte ihr Mut.
»Du solltest Model werden«, hatte er ihr am Tag ihres Kennenlernens vorgeschlagen. »Exotische Gesichter wie deines hauen uns Männer um, glaub mir.«
»Meinst du das wirklich? Also, ich habe tatsächlich schon darüber nachgedacht.«
Er hatte genickt. »Nimm es in Angriff. Ich bin zwar nicht aus der Branche, aber ich glaube, du hättest Chancen. Ich helfe dir dabei. Weißt du, ich habe ein paar Kontakte.«
»Kontakte?«
»Versprechen kann ich nichts. Ich bin keiner von denen, die dir am Abend die Sterne verheißen und am nächsten Tag die Wohnung ausräumen.«
Genau das mochte sie an ihm. Er war anders als die anderen Touristen, die nur auf eine Samoanerin in ihrer Sammlung exotischer Liebhaberinnen scharf waren. Natürlich war er von ihrem Aussehen fasziniert, so wie sie von seinem Erfolg und von seinem Beruf als Hotelier fasziniert war. Doch dadurch, dass sie quasi zu Geschäftspartnern geworden waren, bekam ihre Beziehung einen anderen Schwerpunkt. Er suchte nach einem passenden Stück Land für sein geplantes Hotel – und sie hatte Land. Oder
besser, Moana und Ili hatten es, und sie ebnete Raymond den Weg zum Geschäftsabschluss.
»Wenn das klappt«, hatte er ihr gesagt, »bekommst du eine Vermittlungsprovision, so wie sich das gehört.«
»Und wie viel ist das? Tausend Dollar?«
Er hatte sein Cowboylachen gelacht, das sie nicht besonders mochte. »Fünf Prozent vom Kaufpreis. Bei zwei Millionen sind das einhunderttausend.«
Ihr war die Luft weggeblieben. »Tala?«
Wieder hatte er schallend gelacht. »Tala kennt kein Mensch. Dollar, natürlich. Ich rede von amerikanischen Dollars.«
»Damit kann ich ja meine Nase operieren lassen …«
Ihre Nase interessierte ihn nicht sonderlich. »Ich besorge dir eine Greencard und lasse dir von einem der besten Fotografen der Welt eine Setcard machen.«
Gerade jetzt wieder, während ihr der warme Fahrtwind durch die Haare wehte, rief sie sich den Moment in Erinnerung, als er ihr das gesagt hatte. Niemals zuvor hatte sie sich so stark gefühlt, so viel Hoffnung verspürt. Raymond tat ihr gut. Es war, als tanke er sie mit Selbstbewusstsein voll. Er sprach zwar nicht gerne über seine Vergangenheit, aber sie hatte herausgehört, dass er aus kleinen Verhältnissen kam und sich mit viel Fleiß und Durchhaltevermögen nach oben gearbeitet hatte.
Und genau das wollte sie auch. Sie wollte als reiche Frau in einem reichen Land leben.
Dieser Wunsch war halb so alt wie sie selbst. Vor elf Jahren hatte ihr Vater sie nach Sydney mitgenommen. Mit der Plantage lief es damals gut, drei Jahre Rekordernten bei stabilen Preisen, und so wollte er sich und ihr etwas Besonderes gönnen, etwas, das man »nur einmal im Leben« macht, wie er sagte. Weder er noch seine Eltern oder deren Eltern oder irgendjemand, den sie kannten, war je nach Sydney
gekommen. Australien lag nicht gerade um die Ecke; von Samoa dorthin war es beinahe ebenso weit wie von Amerika nach Europa. Die Familie war nicht wohlhabend, kaum ein Samoaner war das. Der Reichtum der Menschen war das Land, nicht das Geld, so sagten sie immer.
Auch sie hatte das geglaubt.
Doch in dem Moment, als sie in Sydney angekommen war, stürzten diese anerzogenen Anschauungen hinter ihr zusammen wie ein Kartenhaus. Die Frauen in den Straßen sahen so schick und leger zugleich aus, nicht nur ihre Kleidung, auch ihre Gesichter. Wie sie mit ihren wippenden Einkaufstaschen durch die Straßen eilten, wie sie in die Geschäfte mit den blank polierten Glas- und Messingtüren eintauchten wie in einen Traum und nach einer Weile mit einer weiteren Tüte wieder zum Vorschein kamen, wie sie ihre Sonnenbrillen lässig auf die Stirn schoben, wie sie zu zweit oder zu dritt mit all ihren Schätzen in einem Taxi verschwanden – das alles erregte in Ane maßlose Bewunderung. Selbst die Verkäuferinnen sahen wie Prinzessinnen aus. Als Ane mit ihrem Vater in einem kleinen Café saß, mit einem mickrigen Waffeleis vor sich, das ihr Mittagessen sein sollte, und zwei Frauen am Nachbartisch nacheinander einen bunten Salat, eine Hühnerbrust mit Schmortomaten und einen Vanillepudding aßen und sich zwischendurch die Beute des Tages zeigten, da wusste Ane, dass sie eines
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