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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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Raymonds ständiger Gefährte, wurde ihm lieber als der Duft lebendiger, saftiger, atmender Bäume.
    Die Firma expandierte, und Raymond mit ihr. Nach sechs Jahren unentwegtem Auf- und Abladen beförderte man ihn in den Holzzuschnitt, und als die Chefs erkannten,
dass er nicht wie die anderen Männer seines Alters war, gaben sie ihm eine Chance im Einkauf. Er wurde zuständig für den Ankauf von Holz aus zwei Bundesstaaten, später aus fünf, schließlich auch aus Wyoming. Er war ein geschickter und harter Verhandlungspartner. Chuck dagegen war ein zittriger, ausgemergelter Mann geworden, der zwanzig Jahre älter aussah, als er war, und seinem Sohn beim Wiedersehen die übelsten Schimpfwörter an den Kopf warf. Ray weinte an diesem Tag, zum letzten Mal in seinem Leben, und am nächsten Tag erpresste er Chuck mit niedrigen Preisen. Er ruinierte ihn. Als Chuck bald darauf am Suff starb – genauer gesagt fiel er betrunken in ein Sägeblatt und verblutete –, ließ Raymond die Sägemühle abreißen und den umgebenden Wald, der zu seinem Erbe gehörte, roden, bis die Gegend aussah wie nach einem Atomschlag.
    »Sind wir schon auf dem Land deiner Familie?«, fragte er Ane und fuhr sich nervös mit der Hand über die stoppeligen Haare. In Wäldern fühlte er sich nicht wohl.
    »Nein, noch nicht!«, rief Ane, den Fahrtwind übertönend. »Dieses Stück hier gehört dem Dorf Palauli.«
    »Wem im Dorf?«
    »Niemandem speziell. Dem ganzen Dorf.«
    Raymond lachte. »Das klingt ja wie Kommunismus.« Es war ihm völlig unverständlich, wie etwas so Kostbares wie Land einem ganzen Dorf gehören konnte.
    »Es ist hier leider so üblich«, erklärte Ane. »Alles gehört entweder dem ganzen Dorf oder der ganzen Familie. Einzelpersonen besitzen so gut wie kein Eigentum. Jede Familie wählt einen matai, ein Familienoberhaupt, und die matai wählen die ali’i . Beide, Familienoberhaupt und Dorfoberhaupt, verwalten den Besitz.«
    »Aber deine beiden alten Herrschaften, die besitzen ihr Land doch allein, oder?«
    »Hast du Angst, dass mit dem Verkauf irgendetwas schief
geht? Das brauchst du nicht. Meine Großmutter ist fest entschlossen.«
    »Kann schon sein, aber ein Geschäft ist erst dann abgeschlossen, wenn die Tinte unter dem Vertrag trocken ist. Was ist also mit den beiden? Warum unterstehen sie nicht einem dieser ali’i ?«
    »Sie sind eine seltene Ausnahme. Das hängt mit der Geschichte der Familie, des Hauses und des dazugehörenden Landes zusammen. Außerdem liegt der Papaya-Palast mehrere Meilen vom nächsten Dorf entfernt, und damit gehören sie keiner Dorfgemeinschaft an. Das Gleiche gilt übrigens für den alten Ben Opalani, dem du ja auch ein Angebot gemacht hast.«
    Plötzlich schien ihr eine Idee zu kommen. Sie verlangsamte die Fahrt ein wenig, blickte ihn an und sagte: »Weißt du, Raymond, du solltest das Hotel so nennen.«
    »Wie soll ich es nennen? Opalani?«
    »Nein. Papaya-Palast. Ich finde, das hört sich verführerisch an.«
    Er überlegte. »Stimmt. Hört sich wirklich gut an.«
    »Ich bin neugierig. Weißt du schon, wie das Hotel aussehen soll?«
    »Sicher, ja.«
    »Und? Wie wird es aussehen?«
    »Paradiesisch. Traumhaft. Die Leute wollen sich heutzutage aus dem Weg gehen, also werden wir viele Pavillons bauen, die von Sträuchern umgeben sind.«
    »Ein Hotel unter Palmen also.«
    »Ja, aber nicht unter zu vielen Palmen. Bäume versperren die Sicht und machen Dreck. Ein paar Palmen und Papayas lassen wir stehen, zur Dekoration, und das Haus machen wir zur Rezeption. Oder zum Restaurant. Und zur Teelounge – ihr trinkt hier doch alle Tee, wie? Ich muss mit dem Architekten darüber reden.«

    Ane schien zufrieden. »Das gefällt mir. Auf diese Weise bleibt ein kleines Stück von dem erhalten, wo ich meine Kindheit verbracht habe. Auch wenn es nur ein Hotelname ist – und eine Lounge. Das bin ich ihm irgendwie schuldig, dem Land.«
    Und dann verlangsamte sie ein weiteres Mal die Fahrt und fügte leise, fast bittend, hinzu: »Verstehst du das?«
    Er verstand es ganz und gar nicht. »Natürlich. Das ist doch klar.«
     
    Das Geräusch von zwei zuknallenden Autotüren weckte Evelyn. Mit den Händen fasste sie sich an den Kopf, der sich anfühlte, als seien Gummibälle die ganze Nacht über auf ihm herumgesprungen. Die leichte Baumwolldecke lag auf dem Boden, und das Laken war derart zusammengeknüllt, dass Evelyn fast vollständig auf der nackten Matratze lag. In den ersten Minuten konnte sie keinen klaren

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