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Der Duft der grünen Papaya

Der Duft der grünen Papaya

Titel: Der Duft der grünen Papaya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Benedict
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über ihren schob und er sie dabei ansah, wenn sie danach einfach nur beieinander lagen und den Duft reifer Mangos einatmeten, wenn sie beim Abschied in seinen Augen trotz der Dunkelheit die Tränen glitzern sah. Er musste sie lieben, aufrichtig, niemand konnte sich derart verstellen. Niemand konnte von einem gemeinsamen Leben träumen und es nicht ernst meinen.
    Oder doch?
    Tristans Welt funktionierte anders. Die papalagi , die Weißen, waren voller Winkel, Kanten und Löcher und oft schwer zu verstehen. Tuila hatte gehört, dass sie Tiere in Gehege sperrten und zur Schau stellten, aber im Grunde waren es doch sie selbst, die gefangen waren in einem Netz
aus Zeit, Geld und Pflicht. Dort, wo sie herkamen, lebten sie wie Seemuscheln in einem festen Gehäuse, oft eng aneinander gedrängt. Ihre Häuser glichen riesigen steinernen Truhen, zwischen denen sie von früh bis spät umherliefen. Ihre diversen Rituale fraßen die Stunden des Tages und das Geld aus dem Beutel. Doch ohne Geld wiederum konnten sie nicht existieren. Für alles mussten sie zahlen, für die Plätze, auf denen ihre Häuser standen, nach jedem Mondumlauf für die Häuser selbst, für das Wasser und das Licht und die Wärme, ja sogar für die Aufbewahrung des Geldes selbst mussten sie Geld geben. So opferten sie also Zeit, um Geld zu bekommen. Viele von ihnen arbeiteten ohne zu sprechen, denn die Maschinen ließen ihnen dafür keine Gelegenheit. Diese Menschen bekamen eher einen geringen Lohn. Andere wiederum redeten unentwegt und taten ansonsten nicht viel, erhielten dafür jedoch einen hohen Lohn. Zu singen und zu summen galt in jedem Fall als unmöglich, und wer es dennoch tat, wurde für nicht normal erklärt. Das Schlimmste jedoch war, dass sie Dinge sagten, die sie nicht meinten, ja, bei denen sie sogar insgeheim das Gegenteil dachten. So machten die Frauen sich gegenseitig Komplimente über die Kleidung, und kaum sprachen sie mit einer anderen, änderten sie ihre Meinung plötzlich. Und die Männer redeten sich mit »Geehrt« und »Geschätzt« an, nur um sich im nächsten Augenblick anzufeinden.
    Tuila konnte diese komplizierte Welt nicht begreifen, von der Tristan ihr erzählt und Bilder gezeigt hatte. War es dann nicht auch möglich, dass er sie liebte und dennoch verstieß? Sie hatte ihn schon manches Mal aus der Ferne beobachtet, wenn er weißen Frauen die Hand küsste, auch jungen, und sie am Arm spazieren führte. Waren das nicht bereits Rituale, die zu einer Vermählung führen konnten?
    Einer Freundin von ihr aus einem benachbarten Dorf, diejenige, von der sie Deutsch gelernt hatte, war es so ergangen.
Sie lebte mit einem Deutschen zusammen, einem Mann, der Bücher schrieb. Jeden Tag beteuerte er ihr, wie sehr er sie liebe. Sie badeten im Meer, besuchten Feste, er baute ein kleines fale für sie, sie bekam ein Kind von ihm, und sie lebten zwei volle Jahre glücklich miteinander. Dann kam für ihn ein Brief von weit her, und eines Morgens wachte sie auf, und er war fort. Ohne ein Wort. Ohne einen letzten Gruß. Ohne auch nur einen Gegenstand als Erinnerung zurückzulassen. Und wäre nicht das Kind gewesen, hätte sie glauben können, sie habe alles nur geträumt.
    Tuilas Freundin lebte nicht mehr. Sie hatte sich und das Kind ertränkt.
    Das alles wirbelte in ihrem Kopf durcheinander.
    Er wird dich verlassen, hallte Tupus Stimme in ihr nach. Er wird eine andere heiraten.
    Tuila wollte es nicht glauben. Trotzdem stieg Angst in ihr hoch, und mit der Angst kamen die Tränen.
    Ihre kleine, schmale Hand umklammerte einen Hibiskus, dessen rote Blüten überall entlang des Weges zwischen dem Grün aufleuchteten. Sie nahm eine davon und steckte sie hinter das linke Ohr, ein traditionelles Zeichen, dass ihr Herz vergeben sei, eine kleine, fast ohnmächtige Geste angesichts der Widrigkeiten, die Tristan und sie umgaben.

3
    Samoa, November 2005
     
    Ane fuhr auf der schmalen Straße nach Salelologa schneller als sonst, und auf der rasanten Fahrt kappte ihr Jeep etliche der Hibiskusblüten, die hier überall zwischen dem Blattwerk aufleuchteten.

    Sie war spät dran. Raymond konnte jeden Moment an der Fährstation ankommen, und sie wollte ihn nicht warten lassen. Niemand ließ gerne seine Zukunft warten.
    Seit sie Raymond vor zwei Wochen in einer Bar in Apia kennen gelernt hatte, hatte sich ihr Leben verändert. Zum ersten Mal fuhr sie einen eigenen Wagen, und zum ersten Mal durfte sie mit einem Mann nicht nur im Aggie Grey’s übernachten, sondern

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