Der Duft der grünen Papaya
trat, gefolgt von deren exzentrischer Großmutter Moana und dem Amerikaner – Ray –, der ihr im Aggie Grey’s geholfen hatte. Ane, sehr schick in ihrem körperbetonten Einteiler, der viel Bein freiließ, legte den Arm um
Ray, eine Geste, die ihm nicht mehr zu behagen schien, nachdem sie sich von Moana verabschiedet hatten und auf Evelyn zusteuerten.
Ray sah wirklich gut aus, fand sie. Seine Haut war bereits von einer schönen braunen Patina überzogen, die von dem hellen, halb offenen Hemd noch verstärkt wurde. Der Dreitagebart verlieh ihm etwas Kerniges und zugleich Sanftes.
Sie nickte ihnen zu.
»Guten Tag, Ane.«
»Hallo, Evelyn. Geht es Ihnen gut?«
»Ja«, log sie.
»Das ist Raymond Kettner.«
Er fügte hinzu: »Wir haben uns gestern im Hotel getroffen.«
Sie lächelte und zog unmerklich sein Halstuch aus der Hosentasche. »Ich erinnere mich. Guten Tag.«
»Ich hoffe, Sie werden hier besser verpflegt als wir«, sagte er schmunzelnd. »Unsere Suppe war voll mit Kokosfasern, und als ich dachte, in ein saftiges Stück Huhn zu beißen, hatte ich stattdessen eine Schnur im Mund.«
»Das ist doch jetzt nicht wichtig«, unterband Ane eine weitere Konversation. »Evelyn, wissen Sie vielleicht, ob Tante Ili im Haus ist?«
»Sie hat mir einen Zettel geschrieben, dass sie in die Plantage gegangen ist.«
Ein erleichtertes Lächeln legte sich auf Anes Lippen, wie bei jemandem, der einer unangenehmen Aufgabe entledigt wurde. »Siehst du, Ray, ich kann jetzt nicht mit ihr reden.«
»Soll ich ihr etwas ausrichten?«, fragte Evelyn.
»Nein, ich werde später mit ihr sprechen, irgendwann.«
»Sie sollte es so schnell wie möglich erfahren«, wandte Ray ein.
»Aber wenn sie doch nicht da ist.«
»Mir wäre es lieber, wenn ich sie überzeugen könnte. Ich will keinen Streit, verstehst du? Keine Auseinandersetzung. So etwas endet schnell vor Gericht, und das sieht meine Bank gar nicht gern.«
»Sie ist nicht da «, wiederholte Ane eindringlich. »Und wir können nicht warten, bis sie zurückkommt. Der Wald ruft, hast du das vergessen? Wir wollen einen Ausflug machen.«
»Das klappt sowieso nicht. Ich muss die Verträge aufsetzen, mit der Bank telefonieren … Außerdem gehe ich ohnehin nicht gerne spazieren. Lass uns was trinken, ja? Da war doch ein Café an der Fährstation.«
Seufzend gab sie nach. »Und Sie?«, fragte sie, an Evelyn gewandt. »Haben Sie vor, den ganzen Tag hier zu bleiben?«
Das war eine gute Frage, fand Evelyn. Es war nun beinahe zwölf Uhr, und sie musste sich überlegen, wie sie den heutigen Tag verbringen wollte. Seltsamerweise hatte sie sich bis zu diesem Zeitpunkt keine Gedanken darüber gemacht. Von dem Moment an, als sie in Frankfurt ins Flugzeug gestiegen war, war sie darauf konzentriert gewesen, diese Insel, Samoa, überhaupt zu erreichen – einer Schiffbrüchigen ähnlich. Darüber hinaus hatte sie keine Pläne. War sie gestern noch damit beschäftigt gewesen, eine Unterkunft zu finden, stand ihr von nun an alle Zeit des Tages zur Verfügung, und ob sie wollte oder nicht, sie musste diese Stunden ohne ablenkende Fernsehprogramme, ohne Zeitschriften, ohne Beruf und ohne die gewohnte Umgebung ihres Hauses füllen.
»Wenn Sie möchten«, bot Ane an, »nehme ich Sie nachher auf eine Spazierfahrt über die Insel mit. Ohne Auto werden Sie Schwierigkeiten haben, Savaii zu erkunden. Es gibt zwar Busse, aber die sind langsam und ungemütlich. Ich bringe Raymond zur Fährstation und hole Sie anschließend hier ab. Wie wär’s?«
Der Vorschlag gefiel Evelyn. Eine Tour im Jeep mit einer
Ortskundigen über die Insel würde sie ablenken, und so sagte sie zu.
Ane hatte die Schlüssel vergessen und ging ins Haus zurück. Kaum war sie verschwunden, setzte Ray sich neben Evelyn auf die Veranda.
»Geht es Ihnen wirklich gut?«
Sie nickte.
»So sehen Sie aber nicht aus«, sagte er. »Entschuldigung, ich bin immer so direkt. Ich sage, was ich denke. Ist manchmal ein Fehler. Ehrlich, Sie sehen aus, als hätten Sie diesen Urlaub dringend nötig.«
Sie senkte die Lider. »Das stimmt auch.«
»Sind Sie allein hier?«
»Mein Mann ist in Deutschland.«
Er kaute auf einem Grashalm herum.
»Ich komme dieser Tage noch mal hier vorbei. Vielleicht sehen wir uns dann.«
»Vielleicht. Da fällt mir ein, dass ich noch etwas von Ihnen habe.« Sie wollte ihm sein Tuch zurückgeben.
»In Wyoming ist das eine Beleidigung für einen Mann«, sagte er. »Wenn Sie mich ein für alle Mal los sein
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