Der Duft der grünen Papaya
Übeltäter. Keine Milde. Er gehört öffentlich hingerichtet, als Exempel für die anderen. Wo gehen Sie denn hin, Herr Leutnant?«
Tristan hatte sich abgewandt, weil einer der Kutscher ihn zu einem Muskatbaum rief. Hinter dem mächtigen Stamm, mitten im Gras, lag Tamaseu, der Polizist. Aus seinem Mund rann ein dünner Faden Blut, und er war ohne Bewusstsein.
»Schwacher Puls«, murmelte Tristan. »Keine äußere Verletzung. Er ist vermutlich von hinten mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen worden. Wenn er nicht schnell versorgt wird, stirbt er womöglich.«
Gemeinsam mit dem Kutscher hievte er den Verletzten in eine der Kutschen.
»Was machen Sie denn da?«, fragte Frau Schultz.
»Er muss liegen. Wir bringen ihn ins nächste Dorf, nach Palauli.«
»Und wir?«
»Sie kommen selbstverständlich mit.«
»Mit einem blutenden Samoaner zwischen uns? Wie stellen Sie sich das denn vor? Unmöglich so etwas.«
Tristans Wangenknochen mahlten, und sein schmales Gesicht bekam einen Anflug von Härte. »Sie werden sich jetzt in die Kutsche begeben, gnädige Frau, in welche, das ist mir egal. Und dann rücken Sie alle ein wenig zusammen, davon geht die Welt nicht unter.«
Sie blies die Backen auf.
»Wir machen es haargenau so, wie ich es eben beschrieben habe«, kam er ihrem Protest zuvor. »Fräulein Hanssen, bitte helfen Sie den Damen beim Einsteigen. Ich hole die Pferde.«
Am liebsten hätte er die blasierten Weiber zurückgelassen, wäre er nicht verantwortlich für sie gewesen. Doch sein Ärger über das Verhalten der Gouverneursgattin trat schnell in den Hintergrund. Ihn beschäftigte etwas ganz anderes, ein Verdacht.
Und er musste diesem Verdacht, von dem er aus tiefstem Herzen hoffte, dass er falsch war, nachgehen.
Noch heute.
Palauli war ein typisch savaiianisches Dorf. Entlang des Weges, dessen Erde hart und von Unkraut befreit war, reihten sich die bunt angemalten Häuser vor der Kulisse des Tropenwaldes auf wie Farbtupfer auf einem impressionistischen Gemälde. Im safranfarbenen Licht des Mittags wirkte der Ort unwirklich und verlassen. Nichts rührte sich. Nicht einmal der Wind bewegte die Palmblätter, in deren Schatten Hunde jeder Rasse und Größe friedlich schlummerten. Das Leben schien stillzustehen. Nur im
fono , im Versammlungshaus des Dorfes, saßen einige Männer beisammen, ohne miteinander zu sprechen. In offenen fale oder hinter Matten schliefen die Bewohner, auch die Kinder.
Tristan steuerte auf das Haus von Tuilas Eltern zu. Er hatte die Damen bei einem der wenigen deutschen Siedler in dieser Gegend abgesetzt. Der Mann verfügte über einige medizinische Kenntnisse, da er sein Land weitgehend selbst bewirtschaftete und oft mit kleineren Wunden und Verstauchungen zu tun hatte. Bei ihm waren sie gut aufgehoben, bis nachher eine Polizeieskorte, nach der er geschickt hatte, sie nach Upolu begleiten würde.
Den verletzten Polizisten wollte er in samoanische Pflege geben. Die Verwundungen waren zu schwer, als dass eine bloße Bandage geholfen hätte, und Tuila und ihre Mutter verstanden sich hervorragend auf die Heilung von Kranken. Doch er hatte noch einen weiteren Grund, weshalb er ausgerechnet zu Tuila wollte. Wenn – wie er vermutete – Tupu der maskierte Täter gewesen war, musste er verwundet sein, und vielleicht würde er sich von seiner Mutter behandeln lassen.
Das fale lag am Rand des Dorfes, umstanden von Flamboyantsträuchern mit riesigen roten Blüten und von grünen Palmenfächern beschattet wie eine Laube. Die Bastmatten waren heruntergelassen, doch dahinter schien im Gegensatz zu den anderen Häusern reges Treiben zu herrschen. Der Geruch von Kokosseife und bitteren Kräutern hing in der Luft. Tristan wurde misstrauisch.
Er pochte mit der Faust an einen Pfosten. »Tuila! Tuila, bist du da?«
Nur einen Augenblick später schob sie die Matte zur Seite. In seinem Gesicht las sie sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist passiert?«
»Lange Geschichte. Ich habe einen verletzten Polizisten bei mir. Kannst du ihm helfen?«
Tuila trat aus dem Haus und betrachtete ihren Landsmann genau. Sie tastete seinen Hinterkopf ab, legte ihre linke Hand auf den Hals, die andere auf den Mund. Nach einer Weile sagte sie: »Ja, wir können ihm helfen.«
»Wird er überleben?«
»Wenn wir schnell sind. Bringe ihn rein. Ich rufe nach meiner Mutter.«
Ein Teil im Innern des fale war mit Tüchern verhängt, was unüblich war.
Tuilas Mutter kam sofort hinter den Tüchern hervor.
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